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Gewisse Fallhöhen

Formelhaft ist in Ordnung. Die Formel muß nur stimmen. Im Berliner Ensemble hat Stephan Suschke Müllers Stück „Die Bauern“ inszeniert  ■ Von Petra Kohse

Den ersten Satz spricht ein kleines Mädchen im roten Kleid. „In einer Nacht wie heute. Vollmond auch/ Haben wir einen umgelegt in Rußland ...“ Dieser Bericht gehört zum Ende eines anderen Müller- Stücks, zu „Traktor“, und vor die „Bauern“ gesetzt, zeigt er umstandslos, wo's langgeht. Nicht der Mord an einem „Bolschewiken“ ist dabei von Bedeutung, sondern die Befremdung der deutschen Soldaten, die ihn aus Gnade auf seiner eigenen Erde sterben lassen wollten, jedoch: „Der zeigte bloß/ Wie ein Großgrundbesitzer ins Gelände/ Wo kilometerbreit brusthoch der Mais stand./ Der hatte wo sein Feld war glatt vergessen.“

Nicht besser und nicht schlechter wird es den Soldaten ergehen, die in Müllers tragikomischer Politkomödie von 1964 als ostdeutsche „Bauern“ wiederauftauchen. Ihre Entwicklung von 1946 bis 1960 wird gezeigt, die Zeit von der Bodenreform bis zur Durchsetzung der LPG. Junkerland in Bauernhand, Bauernland im Kolchosstand, auch hier.

Mit dem vorangestellten Text, vorgetragen vom Mädchen im roten Kleid, ist Stephan Suschke ein programmatischer Anfang gelungen. In der Tat wird es in seiner Inszenierung der „Bauern“ mit aufklärerischem Gestus zugehen, wird Müller mit Müller erklärt und ist die Haltung eine aufrechte, aber distanzierte. Jugend berichtet, was Jugend selbst nicht erlebt haben kann, berichtet mit ruhigem Interesse und ohne eigenes Anliegen.

Geplant war ein solcher Zugriff allerdings nicht. Geplant war eine „Bauern“-Inszenierung von B.K. Tragelehn, der auch 1961 die Uraufführung von Müllers Stück „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“ inszenierte. Eine Produktion mit Studenten, nach der Müllers Text wegen „unzureichender Darstellung der Wirklichkeit“ verboten wurde. Drei Jahre später brachte Müller den Stoff als „Die Bauern“ in neuer Fassung heraus. Die Arbeit an diesem Text nun hat Tragelehn vor wenigen Wochen niedergelegt, wegen Krankheit, wie es heißt. Und Stephan Suschke, Mitintendant des Berliner Ensembles übernahm. Eine Entscheidung mit Fallhöhe. Von Tragelehn hätte man eine Stellungnahme aus historischer Erfahrung erwartet, der jüngere Suschke entschloß sich zur erbpflegerischen Verwaltung, siehe oben.

„Die Bauern“ ist ein tolles Stück. Es erzählt einem alles, was man wissen muß über die Widersprüche eines Gemeinwesens, das auf dem Weg zum Kommunismus im Realsozialismus versackt. Es zeigt, wie das neue System das bestmögliche ist, aber bei weitem nicht gut. Wie treibende Kräfte zu Hemmschuhen werden und umgekehrt. Wie Überzeugungsarbeit den Individualismus zermürbt und umgekehrt, wie Chauvinismus sich überall durchfrißt, manch einer über die Klinge springt oder gleich rüber, „zum Amerikaner“.

Mit spielerischen Anflügen und suggestiver Rhythmisierung inszenierte der mit Suschke etwa gleichaltrige Thomas Heise vor eineinhalb Jahren im gleichen Theater Müllers vergleichbares Produktionsstück „Der Bau“. Suschke hingegen faßt die Gemeinschaft nicht ornamental, sondern konzentriert sich auf Einzelkontakte und lehnt sich eng an das von Heiner Müller in seiner „Duell Traktor Fatzer“-Inszenierung von 1993 vorarrangierte verschwindende Theater an: sparsame Ikonographie auf nackter Spielschräge und statisch gruppierte Bilder. Nie tut ein Darsteller, was ihn der Text nicht heißt. Jeder kauert und lauert, bis er dran ist – ein enger Rahmen, indes: das Ensemble ist in der Lage, ihn zu nutzen.

Veit Schubert als biegsam verbiegender Bürgermeister, Hermann Beyer als brachial zerbrechender Kommunist oder Thomas Wendrich als erhärtender Politnachwuchs – das Ensemble kann Entwicklungen vorzeigen, komisch, genau und immer im Dienste der doppelten Wahrheit. Am schwächsten Glied aber zerbricht die Kette: Der Kabarettist Wolfgang Krause Zwieback wurde als subversiver Biertrinker Fondrak besetzt, ein Fremdkörper im gelben Anzug, ist ja in Ordnung.

Doch Suschke konnte ihn nicht leiten, Krause Zwieback hampelt und blökt sich eitel an die Front, spielt asozial den Asozialen, und die Inszenierungsformel vorzeigender Zurückhaltung entlarvt sich als doch eher zufällig funktionierendes Arrangement. Dazu paßt, daß der Vorhang sich ganz am Ende noch einmal öffnet, um alle Figuren schließlich als grauneblig verschleierte Darstellerinstallation zu zeigen.

„Die Bauern“ von Heiner Müller. Regie: Stephan Suschke. Bühne: Grischa Meyer. Wieder am 2., 5./6.6., 19.30 Uhr, BE, Bertolt- Brecht-Platz

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