So tot wie Kurt

■ ...oder auch nicht, denn aus verbeulten Ford Granadas kommt immer noch Grunge-Musik: "Hype!" (23 Uhr, WDR)

Hätte es da nicht mal diese Grunge genannte Mischung aus Punk und Metal, Bier und wutschnaubender Trübsalslyrik sowie jenen rührseligen Film mit dem übernächtigten Tom Hanks gegeben, wäre die Stadt wahrscheinlich hierzulande so bekannt wie Bebra in den USA. Gab's aber beides. Darum weiß heute selbst jeder deutsche Studienrat, daß auch Amerikaner manchmal Kurt heißen und Seattle und Grunge zusammengehören wie Königsberg und Klops.

Und wenn man mal wieder irgendwo an einer Ampel steht, und nebenan sägen diese Drei-Akkord-Riffs aus einem verbeulten Ford Granada, zu denen ein Wagenlenker mit Matte, Holzfällerkutte und einem dieser komischen Bärtchen seinen Kopf heftigst vor- und zurückwuchtet – ja dann scheint Grunge auch zehn Jahre nach seiner Erfindung noch immer nicht ganz tot zu sein. Auch wenn sich die Hänger von Soundgarden gerade getrennt haben.

Wie damals alles anfing, sich entwickelte und langsam auf den Hund kam, erzählt Doug Pray in seiner Dokumentation aus dem Jahre 1995. Und da sehen wir Mitstreiter so ziemlich aller Kultbands der Bewegung von Green River über Mudhoney und Soundgarden bis TAD ihre Sicht der Dinge darlegen. Mal hocken sie auf Mauerresten, mal auf abgewetzten Sofas in spärlich begrünten Vorgärten und sondern ihre selbstgebackenen Theorien über den Grunge- Hype ab. Ob es nun am ständig miserablen Wetter des Nordwestens („Da hast du einfach Lust, in den Keller zu gehen und Krach zu machen“) und der massiven Präsenz von Serienkillern in der Gegend lag oder doch eher subjektive Gründe entscheidend waren („Mutter hat immer gesagt: ,Du bist kein Versager‘“), vermag der Film natürlich auch nicht ganz zu klären. Selbst die diversen Dunstkreis-Leute wie Produzenten, Fanzine-Schreiber oder die Eigner des legendären Sub-Pop-Labels können da kaum weiterhelfen.

Filmemacher Doug Pray läßt sie einfach reden und ist als ehemaliger Radio-DJ und Musiker bei mehreren (erfolglosen) Seattle- Bands einerseits nah genug an der Szene, hat aber andererseits auch den nötigen Abstand, um seinen Film nicht zum jubilierenden Fanartikel verkommen zu lassen. Dabei ist seine chronologisch montierte Dokumentation formal so schlicht wie ein Grunge-Song: Live-Take, Statement, Live-Take, Statement. Nur gegen Ende häufen sich die Belege für den Niedergang: Nirvana als zu erratender Begriff bei einem TV-Quiz, der Auftritt der Screaming Tress bei David Letterman und die Akzeptanz von Holzfällerhemden und langen Unterhosen auf der 5th Avenue.

Worauf einige Authentizitätsjünger der Szene das alte Klagelied vom bösen Kommerz und dem Ausverkauf der Ideale anstimmen. Vorneweg ausgerechnet Pearl Jams Eddi Vedder „Sie nehmen dir alles weg“. Hatte das Mutter nicht auch schon prophezeit? Reinhard Lüke