piwik no script img

"Es ist Energie ohne Adresse"

■ Die Berliner Volksbühne kreuzt für drei Tage über zur Club Culture. Auf allen bespielbaren Ebenen bis hin zu den Toiletten. Dick Hebdidge, media-mixender Gastperformer und Pionier der Cultural Studies, über C

taz: Wann waren Sie zum letztenmal in einem Club?

Dick Hebdidge: Oh, erst vorgestern. Allerdings ist es hier in Kalifornien, wo ich als Lehrer gelandet bin, nicht ganz einfach, Clubs zu finden, in denen europäische Dance Music gespielt wird. Obwohl die Musik ja ursprünglich aus den Vereinigten Staaten kommt, aus Chicago und Detroit, und erst von dort aus nach Europa kam, ist sie im Rest der USA immer noch ein Randphänomen. Hier in der Gegend gibt es bloß ein paar Clubs in Santa Monica, ansonsten finden eben private Parties statt. Dem kalifornischen Klima entsprechend haben diese Veranstaltungen eine gewisse Affinität zu Grillabenden – Grillabende mit einem DJ dabei.

Wie würden Sie Club Culture jemandem erklären, der gar nichts davon mitgekriegt hat? Das lexikalische Minimum.

Nun, es ist eine Kultur, die sich gewöhnlicherweise um Orte zum Tanzen, Nightclubs herum gruppiert. Ein spontanes Treffen mehr oder weniger exklusiver Gruppen, die sich ihre Auswahlkriterien selbst geben. Natürlich handelt es sich um jüngere Leute. Im Mittelpunkt des Ganzen steht der DJ als eine Art Techniker der Ekstase.

In Ihren Arbeiten haben Sie den experimentellen Charakter der Club Culture hervorgehoben.

Auf der Basis der beschriebenen Anordnung können Clubs tatsächlich Versuchslabors für neues, abweichendes Sozialverhalten sein. Für neuartige Formen, Sexualität auszudrücken, Rollen aufzulösen, Gemeinschaft zu erleben. Es geht, wie schon bei Jugendkulturen zuvor, um die Organisation in Stämmen, die von der Position der Erwachsenen als Wilde im eigenen Land gesehen werden. Deshalb ist der Club ja auch kein Pub, wo jeder reingeht, alles öffentlich ist, die Generationen sich durchmischen und Rock'n'Roll aus der Musikbox kommt. Von der Differenz in den Formen der Intoxikation ganz abgesehen.

Heißt das, daß der Pub im Grunde das demokratischere Modell ist?

Die Tatsache, daß das soziale Environment in einem gegebenen Moment kontrollierbar ist, daß manche Leute reindürfen und andere nicht, ist hier – wenn man den vorgegebenen Rahmen von „leisure“ und „pleasure“ akzeptiert – gerade das Moment von Freiheit. Es hilft bei der Einrichtung einer sehr dichten Zirkulation von Energie. Man kann also sagen: Club Culture ist ein Bündelungssystem, sie formt Intensität.

Der Kritiker Jim McLellan hat den Raum des Clubs als „starless void“ beschrieben: In der Mitte der Energie ist nichts, eine Leere ohne Stars.

Sicher war für das Aufkommen der Clubkultur eine gewisse Ermüdung angesichts der herrschenden Formen von Berühmtheit und Starkult mitverantwortlich. Man fühlte sich gerade wohl in der Anonymität, der DJ blieb zumindest anfangs sehr im Schatten, man mußte zu niemand hochschauen – eine ungeheure Erleichterung. Jeder darf im Club das Zentrum seiner eigenen Welt sein, wenn er sich im Tanz verliert, und darum scheint es eben um mehr zu gehen als um das Herausragen aus der Masse. Jeder ist auf der Tanzfläche im Grunde ein Performer. Insofern ist Club Culture die extreme Antithese zum Stadionrock, wo jeder in dieselbe Richtung auf die Bühne stiert, hin zu irgendwelchen Idolen. Natürlich sind aus dem Versuch, Berühmtheit zurückzuweisen, dann wieder neue Formen von Berühmtheit entstanden.

Seit einiger Zeit häufen sich auch die Versuche, der Entwicklung eine Geschichte zu geben – und von da aus eine neue Richtung zu erspähen.

Ich bin nicht sicher, ob die Geschichte des Clubs wirklich überblickt werden kann. Auch ich kann da nur meine, ich fürchte etwas anglozentrische Sicht beitragen. Sie führt über Northern Soul, Funk, Rare Groove zu größeren Raves Ende der Siebziger. Was die US- amerikanische Wurzel anbelangt, läßt sich ganz allgemein, aber nicht sonderlich originell sagen: Sowohl beim Detroiter Techno als auch beim House Sound of Chicago handelte es sich ursprünglich um ein schwarzes schwules Untergrund-Ding. Wichtiger als das Erstellen von Genealogien scheint mir, daß alles so schnell zirkuliert, daß ein sehr neuartiges Gefühl für Geschwindigkeit und die Möglichkeiten der neuen Technologien entstanden ist. Es gibt heute ungleich mehr Mobilität bei jüngeren Leuten als noch vor zehn Jahren, es geht von Goa bis Manchester und Ibiza, wo ja auch englische Urlauber den Rave eingeschleppt haben. Rock'n'Roll hat zwanzig Jahre gebraucht, um sich weltweit durchzusetzen, dieses hier ging ganz, ganz schnell. Eigenartig bloß, daß dieses neue Lebensgefühl in seinem musikalischen Ausdruck in den USA bislang am wenigsten angekommen ist.

Obwohl doch die immer weiter nach Westen verschobene Grenze, überhaupt die unbegrenzten Möglichkeiten dort sozusagen erfunden wurden.

Ich kann es mir nur so erklären, daß es genau damit zu tun hat. In Amerika gibt es eine patriotische, auf die Weite des Landes bezogene Fixierung auf Rock'n'Roll, die unter der Hand konservativ und sentimental geworden ist.

Im deutschen Kontext ist Techno als erste gesamtdeutsche Jugendbewegung beschrieben worden. Kann es ein Zufall sein, daß das weltweite Aufkommen von Dance Music mit dem Ende des Kalten Krieges zusammenfällt?

Vom Spirit her, denke ich, gibt es eine Verbindung, aber letztlich kann man darüber bislang nur spekulieren. Es gibt marktstrategische Gründe: Alles kann seit der Auflösung der Blöcke freier zirkulieren, die Waren, die Menschen, die Information. Darüber hinaus gibt es eine Entwicklung hin zu stammesähnlich organisierten Identitäten auf den verschiedensten Ebenen – die Club Culture ist davon sicherlich die friedlichste. Die Welt tanzt sich in Trance, um irgendwie ins nächste Jahrhundert zu kommen. Denken in starren Gegensätzen, überhaupt Ideologie im Sinne eines Lagers, das sich über die Konfrontation mit seinem Gegenüber definiert, ist, trotz lokaler Rückfälle in den Nationalismus, aufs Ganze gesehen im Niedergang begriffen. Und um noch etwas weiterzuspekulieren: Ausgerechnet die Digitalisierung, die letztlich auf der binären Opposition von 1 und 0 basiert, bringt diese Gegensätze zum Verschwinden. Im Zuge der technischen Globalisierung gibt es nicht mehr wirklich den Unterschied zwischen Mainstream und Subkultur, zwischen Drinnen und Draußen, Freund und Feind. Seltsame Dinge passieren: In Italien kommen Exmitglieder der Roten Brigaden plötzlich auf Italo-House und tanzen die ganze Nacht. Nicht einmal den Unterschied zwischen Alt und Jung gibt es so wie früher. Wenn du nie genau weißt, wie dein Bankkonto im nächsten Monat aussehen wird, mußt du ein Leben lang dein Leben improvisieren.

Dann wäre auch die immer wieder herangezogene Woodstock- Metapher für Club Culture falsch. Gibt es noch einen Bezug zur Gegenkultur der sechziger und siebziger Jahre?

Natürlich gibt es bei Jugendkulturen immer Kontinuitäten, aber es empfiehlt sich, eher das Neue zu sehen. Die Hippies waren im Endeffekt stärker vom Markt abhängig, als sie glauben wollten. Man verstand sich als selbstbestimmten Stamm innerhalb feindlichen Landes. Dazu gehörte eine sichtbar nach außen getragene Nonkonformität, auch eine Art Zusammenglucken, das als Brotherhood und Sisterhood verklärt wurde. Letztlich drehten sich diese Strategien aber mehr darum, einen Platz zu finden und dauerhaft für sich zu haben: das Auto, die Clique, das selbstbestimmte Projekt. Club Culture ist auch hier die Antithese zu den Entwürfen der Baby Boomer. Die Differenz zwischen authentisch und inauthentisch wird so nicht mehr gemacht, auch Underground und Mainstream sind keine Gegensätze mehr. Die Weigerung hat sich in eine Verweigerung der Selbstdefinition verlagert. Alles geschieht im Augenblick. Die Gemeinschaftsform ist die elektronisch gerufene Masse, die auftaucht und einen Moment später wieder verschwindet – ohne viel miteinander zu tun zu haben. Selbst die Sexualität bleibt bei aller manifesten Zurschaustellung ohne feste Adresse. Man findet Trost darin, daß man letztlich Fremder unter Fremden bleibt oder zieht diesen Zustand zumindest der großen, alles einigenden Identität vor. Das ist die utopische Seite der Rave Culture: Sie bringt die Masse wieder ins Spiel.

Utopie ist ein Begriff, der eigentlich ganz aus der Mode ist, aber gerade im Reden über Club Culture wiederauftaucht. Oft unter Hinweis auf angebliche Vorläufer wie den Dadaismus.

Es gibt einige historische Parallelen, die man ziehen kann. Sowohl im Club Voltaire in Zürich als auch in Paris, im Berlin der zwanziger Jahre entstand so etwas wie der moderne Typus des Bohemiens, des Liebhabers der „demi monde“, der stark an den nächtlichen Möglichkeiten des Lebens in der Großstadt interessiert ist. Insofern war damals schon die für den Club typische Mischung von Intellektuellen und menschlichen Exotica erreicht. Doch so interessant es sein mag, in die Geschichte zurückzugehen, es gibt letztlich doch nicht soviel für die Gegenwart her. Die Diskontinuitäten sind zu groß. Seit die Jugendkultur in den fünfziger Jahren aufkam, spielt etwa auch die Kultur der Arbeiterklasse darin eine Rolle, auch wenn sie sich als solche kaum noch fassen läßt. Es geht um das Spaßhaben von Schichten, die wenig Nähe zum intellektuellen Leben haben.

Trotzdem sind es immer wieder die Intellektuellen, die dem Spaßhaben seine Manifeste schreiben. Überhaupt fällt auf, wie das Reden über Club Culture von einem Avantgardegestus dominiert wird.

Schulen, und vor allem Kunsthochschulen, sind immer noch eine Art Fabrik für Musik und Dance Culture wie auch für die dazugehörigen Manifeste, Simon Frith hat darüber geschrieben. Von da kommen die Leute, die die Konstruktivisten gelesen haben und die Dekonstruktivisten. Sie haben sich in dem Zeug trainiert, und nun geben sie dem Ganzen eine ästhetische Form, modellieren es heraus.

Sie sind selbst Lehrer an einer Hochschule. Welchen Einfluß hat Club Culture darauf?

Ich verstehe mich als Dub- Theoretiker. Jemand, der Theoriepartikel mischt, Bilder einbaut, Popmusik dazutut, darin verschwindet und dann wieder als Sprecher auftaucht. Die Brüche sind wichtig, das Amateurhafte. Alles soll auf einer bestimmten Stufe bleiben, kein Hantieren mit hochprofessionellen CD-ROMs und ähnlichem Schnickschnack. Auch der Vortrag, den ich in der Volksbühne halten werde, ist alles andere als High-Tech.

Mehr Old School.

Genau. Es ist der Versuch, etwas Energie aus den Verbindungen und den Lücken zwischen den verschiedenen Medien und Darstellungsweisen zu ziehen, eine Spannung zu schaffen – auch wenn es abgedroschen klingt: zugleich zu unterrichten und zu unterhalten. Wir machen hier am Institut keinen Unterschied zwischen kreativem und kritischen Schreiben, genausowenig wie wir Videoarbeiten, Musik und Schreiben auseinanderhalten. Jede Art signifikanter Praxis wird anerkannt. Der Studiengang ist ganz klar für Leute gemacht, die sich nicht so oft hinsetzen und ein Buch mit kritischen Essays lesen.

Sie haben Cultural Studies einmal als „heimatlose Kritik“ beschrieben.

Das muß zu Zeiten gewesen sein, in denen ich mich noch besser ausdrücken konnte, haha. Aber jenseits dessen: Es geht nun mal um das Unfertige, das Werden, im Prozeß bleiben, auch für die Theorie. Ein Fremder im System der Sozialwissenschaften zu bleiben, eher zwischen den Orten, vielleicht auf dem Weg wohin, aber ohne feste Niederlassung. Andere haben das natürlich schöner gesagt.

Wieso heißt das letzte Kapitel ihres letzten Buchs „Learning To Live on the Road to Nowhere“.

Ich lebe hier in Kalifornien ja an der Straße nach Nirgendwo. Der Vorort, in dem das College ist, hat was von einer mexikanischen Stadt in der Wüste, und gleich um die Ecke liegt auch tatsächlich ein Friedhof. Happy End! Aber Spaß beiseite: Es ging mir bei dem Titel darum, das Lamento hinter mir zu lassen, das Mitte der Achtziger die Szene beherrschte, und eher das zu feiern, was kommen könnte, wenn die großen Erzählungen endgültig erschöpft sind. Interview: Thomas Groß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen