In Hongkong ist immer der Teufel los

■ Rezension: In englischen Krimis geht es blutig zu. Aber nur einem gelingt es, die Endzeitstimmung ins Groteske zu drehen

In Hongkong ist immer der Teufel los. Im richtigen Leben und erst recht in den Krimis. Da wird gemordet, betrogen und intrigiert. Menschen werden durch den Fleischwolf gedreht, Raketen in belebte Straßen geschossen, und alles ist immer ganz mysteriös, weil die volkschinesischen, hongkongchinesischen, britischen- und manchmal auch noch portugiesisch-chinesisch-macaoer Verhältnisse eben mysteriös sind. So jedenfalls in den Krimis der britischen Autoren, und andere gibt es nicht auf dem deutschen Markt. Ihr Generalthema ist der Abgesang auf das internationale Durcheinander, das es bald nicht mehr geben wird.

Genau auf dieser Klaviatur, Lebensgier, Hektik, britisches Establishment, chinesische Neureiche, dem Arrangement zwischen alter und neuer Macht, spielt John Burdett in „Die letzten Tage von Hongkong“ (Malik Verlag, 1996). Der eurasische Chief Inspector Chan soll einen Dreifachmord aufklären. Er hat nur die Köpfe, gefunden im Meer, denen die Lippen und Nasen abgeschnitten sind. Chans Ermittlungen werden von allen Seiten behindert, er scheint der einzige Anständige in der ganzen Sechs-Millionen-Stadt zu sein. Aber noch gilt britisches Recht, und so gelingt Chan der Kampf gegen korrupte englische Polizeichefs, gegen rotchinesische Drahtzieher und vor allem gegen die Uhr. Burdetts Buch ist blutig und liest sich flott, dennoch ist es kein guter Hongkong-Krimi. Er benutzt nur die politischen Ereignisse für seinen Plot, aber die Atmosphäre in der Stadt bleibt vage.

Burdett ist genauso ein schreibender Tourist wie Paul Theroux, Verfasser vieler berühmter Reiseromane. Sein neuestes Buch heißt „Kowloon Tong“ (Hoffmann und Campe, 1997). Hier geht es nicht um Aufklärung von Mord und Totschlag, sondern um die Beschreibung von Verrat und Intrige. Die Hauptfigur, das britische Muttersöhnchen Neville Bunt, ist Besitzer des Familienbetriebs Imperial Stitching. Die Geschichte erzählt, wie ihm diese Fabrik abgejagt wird, weil die Volksbefreiungsarmee nach der Übernahme Hongkongs irgendwo untergebracht werden muß. Zum Schluß wird Imperial Stitching abgerissen, der Engländer samt Mutter muß das Land verlassen, und was aus der chinesischen Liebe geworden ist, ist nur zu ahnen. Im Klappentext zum Buch heißt es: Theroux habe einen Thriller, der „zugleich die Geschichte des Todeskampfes des Kolonialismus erzählt“, geschrieben. Dafür reicht aber nicht die nette Idee vom platt gemachten Imperial. Mit Abstand am besten sind die absurden, weil grotesk überdrehten Krimis des landeskundigen William Marshall. Er soll mal als Totengräber in Hongkong gearbeitet haben, und wenn es nicht wahr sein sollte, dann ist auch dies eine gute Geschichte. Beim Goldmann Verlag gab es früher sechs Titel von ihm, alle sind heute vergriffen. Aber Gott sei Dank hat der Rotbuch Verlag seit 1993 fünf neue Bücher herausgegeben, alle bestens übersetzt. Für sein hinreißendes Buch „Die Ehre des Kämpfers“ (1995) bekam er den Deutschen Krimipreis. Da geht es um japanische Soldaten, die sich 50 Jahre nach der Besetzung Hongkongs noch immer in der Stadt verschanzt halten und sie mit gebrauchter, aber sehr wirkungsvoller Uraltmunition beschießen. Auch sein letzter Krimi, „Last Exit: Hongkong“ (1997), zeigt wieder einmal, wie meisterhaft er den Polizeialltag parodieren kann. Er liest sich wie ein Comic und ist doch beste Literatur.

Hauptfigur ist wie in all seinen Büchern der Engländer Chief Inspector Feiffer und seine multinationale Crew von der „Yellowthread Street“. Diesmal soll Feiffer herausfinden, ob neun Bankangestellte sich gleichzeitig selbst umbrachten oder ob sie alle gleichzeitig umgebracht worden sind. Ein schwieriges Unterfangen, denn seine Mitarbeiter, die wie durchgeknallte Serienhelden agieren, sind ununterbrochen in groteske Nebenfälle verwickelt. Diese Geschichten werden parallel erzählt, ohne daß der Leser auch nur eine Sekunde den Faden verliert. Weil Marshall aber wie kein zweiter Geschichte, Gegenwart, die Zukunft von Hongkong, Ober- und Unterwelt ineinanderdrehen kann, sind auch diese Fäden nur Teile eines ganz anderen Stoffs. Mehr zu verraten wäre gemein. Anita Kugler