Die Grünen-Jugend findet vieles Scheiße

■ Auf ihrem Bundesjugendkongreß lassen 230 Mitglieder des Grün-Alternativen Jugendbündnisses ihren Frust über die herrschenden Verhältnisse freien Lauf

Berlin (taz) – Zuerst haben sie aufgeschrieben, was sie Scheiße finden. „Daß Kinder nicht wählen dürfen.“ „Daß es Leute gibt, die 500 Meter weite Wege mit dem Auto fahren.“ „Daß Feminismuspolitik nie die Männer einbezieht.“ „Daß Hasch verboten ist.“ „Daß CDU und CSU und JU Scheiße und Faschisten sind. Fuck them.“ „Daß selbst oder gerade in einer Partei wie Bündnis 90/Die Grünen Jugendliche nicht ernstgenommen werden.“ Auf einem anderen „Das find' ich Scheiße“-Zettel steht fett geschrieben: „Alles ist Scheiße.“ Rechts klebt einer, auf dem nur „Deutsches“ zu lesen ist. Links schreit einer in blauen Lettern: „Leider finde ich diesen Zettel Scheiße.“ Zum Auftakt des achten Bundesjugendkongresses des Grün-Alternativen Jugendbündnisses (GAJB), der am Wochenende in Berlin stattfand, kritzelten sich die 230 Jugendlichen ihren Frust von der Seele.

Heike Opitz, die Bundesvorstandsprecherin, wirbelt durch das Kreuzberger Schulgebäude, dem Tagungsort des GAJB-Kongresses. Es gibt Streß mit der „Sozialpolitischen Erklärung“, die sie gemeinsam mit ein paar anderen erarbeitet hat. Zu lasch, zu unkonkret, zu wenig Forderungen, finden die Jung-Grünen aus Nordrhein-Westfalen und setzen durch: Die Erklärung muß überarbeitet werden. Denn es mache keinen Sinn, laxe Formulierungen zu verabschieden wie: „Auch der schon seit Jahren stattfindende Abbau von Einrichtungen für Jugendliche in den Kommunen bringe keine Einsparungen, sondern verlagert nur die Kosten. Gerade Jugendliche fallen in der heutigen Zeit immer öfter durch die Löcher im sozialen Netz“. Die „Sozialpolitische Erklärung“ wird von der Tagesordnung gecancelt.

Die Jung-Grünen wollen raus aus der Kindergartenphase. Sie wollen nach drei Jahren (1994 wurde der GAJB-Bundesverband gegründet) in die Schule der Politik aufgenommen werden. Wollen ein Grundsatzprogramm erarbeiten, um den in die Jahre gekommenen Alt-Grünen deutlich zu machen, daß zwischen den Ideen und Visionen von damals und dem Heute eine Lücke klafft. „Wir müssen die aktuellen Probleme viel stärker auf die Jugend proizieren“, findet die Erfurterin Julia Burghardt, die neu in den Bundesvorstand gewählt wurde. Heike Opitz will viel lieber von den großen Zielen sprechen: Ökologische Steuerreform; solidarischer Umbau des Sozialstaats; gemeinsames Europa. „Europa, ja. Aber was heißt das für die Jugendlichen?“ kontert Julia Burghardt.

„Diese Republik ist reif für einen Machtwechsel.“ Kerstin Müller, Fraktionssprecherin der Mutterpartei, ist aufs Podium geklettert und spricht zu den Jung-Grünen. „Und dieser Machtwechsel geht nur mit Rot-Grün“, sagt Müller. Auf alle Fälle: keine Zusammenarbeit mit der PDS. „Die machen keine konkrete Politik. Die sind teilweise ausländerfeindlich.“

Die Jugendlichen unten im Podium sehen das freilich etwas anders. Kathrin Möckel aus Halle sagt: „Wir sollten offen sein für alle.“ Antje Witting aus Mecklenburg-Vorpommern meint: „Ich habe nichts gegen die PDS“. Wenn ein Machtwechsel nur mit Tolerierung durch die PDS möglich sei, dann „sollten wir das tun“. Sebastian Bork aus Kassel legt nach: „Bevor wir eine große Koalition kriegen, dann lieber einen Machtwechsel mit der PDS.“ Vorstandssprecherin Opitz gibt zu, Probleme mit der PDS zu haben. „Ich finde die furchtbar spießig.“ Die PDS sei keine Partei, mit der man Politik machen könne.

Einer kommt in den Saal gerannt und schreit: „Das Klopapier ist alle!“ Einer anderer meint, dem Mittagessen (Sellerieschnitzel, Gemüsesauce, grüne Bohnen), vollvegetarisch, hätte ein bißchen Fleisch gutgetan. Klaus tritt vors Podium und fragt: „Wer hat Lust auf die Zukunftswerkstatt ,Nachhaltige Regionalentwicklung‘?“ Laura kommt und sagt: „Ich leite die Zukunftswerkstatt zum Thema Kultur.“ Dorothea ruft dazwischen: „Und was willst du machen?“ „Das weiß ich noch nicht“, sagt Laura. Jens Rübsam