„Nimm, was Du kriegen kannst“

■ Keine Lehrstelle? Der Druck auf Jugendliche wächst. Im Berufsvorbereitungsjahr können sie Berufe durchprobieren

Svenja weiß, was sie will. Noch lebt die 17jährige bei Vater und Großmutter. Doch spätestens nach der Ausbildung zur Bürokauffrau will sie aus dieser trauten Dreisamkeit ausbrechen: „Ich will mein eigenes Leben leben.“Eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto. Natürlich Freiheit. Hohe Ziele, auch beruflich: „Ich will nach oben, ganz nach oben!“

Derzeit steht Svenja noch ganz am Anfang ihrer Karriere. Zusammen mit rund 20 Jugendlichen bereitet sie sich bei der Dekra Akademie in Norderstedt auf das Berufsleben vor. „Büro, Verwaltung, Handel“nennt sich der vom Arbeitsamt finanzierte einjährige Lehrgang. Zweieinhalb Tage pro Woche hat Svenja Unterricht, mal in der Dekra, mal in der Berufsschule. Der Rest der Woche ist für das Praktikum bei einer kleinen Elektronikfirma in Pinneberg reserviert.

Und die Firma will das forsche Mädchen übernehmen. Aus der Praktikantin Svenja wird ein Lehrling. „Mein Chef hat sich gar nicht erst meine Zeugnisse angeguckt“, sagt Svenja, und die Erleichterung ist ihr vom Gesicht abzulesen. „Ich sollte einfach zeigen, was ich kann.“Ihr Glück, denn das Hauptschulzeugnis war nicht berauschend.

Um die Zeugnisse der meisten Dekra-SchülerInnen ist es nicht gerade gut bestellt. Umso erstaunlicher, daß 17 ab August eine Lehrstelle haben. Die verbliebenen drei „kriegen wir auch noch unter“, meint Dekra-Lehrerin Antje Hensel bestimmt. Zusammen mit ihrem Kollegen besorgte sie die Praktikumsplätze, gibt Hilfestellungen bei Bewerbungsschreiben.

„Warteschleife“wird das Berufsvorbereitungsjahr in Arbeitsamtskreisen genannt. Das Jahr hat doch einiges gebracht, finden dagegen Nicole und Meike. Die beiden verließen die Schule wie Svenja nach dem Hauptschulabschluß. Fanden eine Lehrstelle bei einem Arzt. Bekamen Schwierigkeiten. Nicole ging nach einem Jahr, Meike wurde nach nur zwei Monaten wieder gekündigt. Sie eigne sich nicht für den Beruf, sagte der Chef der 16jährigen.

Über das Arbeitsamt landete das schüchterne Mädchen im Berufsvorbereitungsjahr. Bei Ikea lernt Meike nun, was Einzelhandelskauffrauen über Waren und Kunden wissen müssen.

Früher wollte Meike Erzieherin werden. Ein Schulpraktikum belehrte sie eines besseren. „Ich kann gut mit Kindern, aber auf Dauer wär' mir das zu stressig.“Der Kontakt mit Menschen ist ihr zwar wichtig, aber es dürfen auch Kunden sein. Bei Ikea wollte Meike eigentlich bleiben. Doch vor drei Monaten erhielt sie eine Absage. Ein so großer Betrieb, hieß es, sei wohl nicht das richtige, Meike brauche viel persönliche Anleitung.

Für Meike brach eine Welt zusammen. Unzählige Bewerbungen wurden geschrieben, unzählige Absagen trudelten ein. Zu Hause machten die Eltern Druck. Nimm, was du kriegen kannst, sagten sie. „Zuletzt wär ich sogar Gärtnerin geworden“, bekennt sie. Dann, vor drei Wochen, klappte es doch noch. Ab August lernt Meike in einem kleinen Fotogeschäft.

Nicole ließ sich vom Druck der Eltern nicht beeindrucken. „Ich muß meine eigene Wahl treffen“, erklärt sie bestimmt. Drei verschiedene Praktikumsstellen probierte die flinke 17jährige im Laufe der letzten Monate aus. Im Hotel, in einem Autohaus. Alles schmiß sie hin. Im Hotel verlangte der Chef von ihr, über Weihnachten allein zu arbeiten – „und das von einer Praktikantin!“Der Bürojob im Autohaus war ihr zu langweilig.

Vor gut einem Monat fand Nicole, was sie suchte: ein Praktikum bei einem Friseur in Norderstedt, spätere Lehre inklusive. Hier stimmt alles: „Das Klima ist toll, alle sind sehr freundschaftlich.“Karriere will Nicole eh nicht machen, Geld ist für sie zweitrangig. Was zählt, ist, „daß die Arbeit Spaß macht“. Karin Flothmann