: Gesichtslifting bei Israels Arbeitspartei
Heute geht die Ära Schimon Peres endgültig zu Ende. Die Oppositionspartei wählt sich einen neuen Chef. Chancenreichster Kandidat ist der General und frühere Stabschef Ehud Barak ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Eineinhalb Jahre nach der Ermordung Jitzhak Rabins und zwölf Monate nach Schimon Peres' Wahlniederlage bestimmt die israelische Arbeitspartei heute ihren neuen Generalsekretär. Der Parteichef wird gleichzeitig Spitzenkandidat der Opposition für den Posten des Ministerpräsidenten. Die heutige Wahl bedeutet das definitive Ende der mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Ära Rabin/ Peres. Es kommt – nicht ganz zufällig – zu einem Zeitpunkt, an dem Peres' Grundsatzabkommen mit den Palästinensern aus dem Jahr 1993 und die daraus folgenden Verträge in Teilen unerfüllt geblieben oder ganz hinfällig geworden sind.
Die Regierung Benjamin Netanjahus hat das zurückliegende Jahr genutzt, um neue Hindernisse aufzubauen, die den in Oslo versprochenen Weg zur Lösung der entscheidenden Fragen des israelisch-palästinensischen Konflikts versperren. Über den endgültigen Status Jerusalems wird derzeit ebensowenig verhandelt wie über die Zukunft der jüdischen Siedlungen und die Flüchtlingsfrage. Mitte Mai erklärte selbst der US-Botschafter in Tel-Aviv, Martin Indyk: „Oslo ist zusammengebrochen.“
Nur wenige Tage zuvor hatte ein Sonderkongreß der israelischen Arbeitspartei die Ablösung ihres bisherigen Generalsekretärs Schimon Peres beschlossen – des eigentlichen Architekten des Nahost-Friedensprozesses. Mit einer Mehrheit von 1.403 zu 856 Stimmen lehnte das Zentralkomitee auch einen Vorschlag ab, Peres zum Parteivorsitzenden zu wählen. Der neu geschaffene Posten sollte dem 74jährigen zur Ehrenrettung dienen.
Die 170.000 Mitglieder der Arbeitspartei haben heute die Wahl unter vier Kandidaten. Aussichtsreichster Aspirant auf die Nachfolge Peres' ist der General und ehemalige Stabschef Ehud Barak (55). Sein Ruf als eher rechter Falke prädestiniert ihn für einen erfolgreichen Wahlkampf gegen Likudchef Benjamin Netanjahu. Deshalb haben sich innerhalb der Arbeitspartei auch solche Politiker um Barak geschart, die dem Spitzenkandidaten politisch eher fern stehen. Laut Umfragen will über die Hälfte der Mitglieder der Arbeitspartei für Barak stimmen.
Am Endspurt im Rennen um die Parteiführung beteiligen sich noch der von Peres protegierte Jossi Beilin, der als Sicherheitsfachmann geltende Efraim Sneh und der aus Marokko stammende, die sozialen Interessen der unteren Schichten vertretende Geschichtsprofessor Schlomo Ben-Ami. Doch ihre Chancen sind verschwindend gering.
Peres verläßt die Parteiführung mit Bitterkeit. Seine langjährigen Verdienste, vom Aufbau eines einer Großmacht würdigen Militärapparats (er gilt als Vater des israelischen Atomwaffenprogramms) bis zum Nahost-Friedensprozeß, werden zwar von seiner Partei gewürdigt. Gleichzeitig gilt der scheidende Generalsekretär jedoch als permanenter Verlierer, der seiner Partei insgesamt fünf Wahlniederlagen beschert hat. „Haltet ihr mich etwa für einen Verlierer!“ fragte Peres auf dem letzten Sonderparteitag seiner Partei. Doch der rhetorische Trick ging schief: Dem Parteichef schallte eine hundertfaches Ja entgegen. Nun hofft Peres auf einen Job als Sonderbeauftragter seines Landes oder seiner Partei.
Im letzten Jahr hatte Peres alle seine Hoffnungen auf das Zustandekommen einer Regierung der nationalen Einheit mit dem Likud gesetzt. Dieser Plan hätte seine politische Karriere als Parteichef wahrscheinlich verlängert. Doch das Vorhaben scheiterte an den erstaunlichen Überlebenskünsten der gegenwärtigen Koalition. Trotz zahlreicher Skandale und Mißerfolge Netanjahus bewies die Regierung unerwartet starke Sitzfreudigkeit und konnte so auf Peres' Angebote verzichten. Hinzu kommt, daß der Regierungschef seit den letzten Wahlen gesetzlich so fest abgesichert ist, daß ihn bis zu den nächsten planmäßigen Knessetwahlen in drei Jahren kaum etwas aus dem Sattel werfen kann. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, daß ernste Krisen, die in den Verhandlungen mit den Palästinensern und anderen arabischen Nachbarn fast unausbleiblich sind, Netanjahu doch noch zu einer Erweiterung der Regierung veranlassen könnten. Der wahrscheinliche Peres-Nachfolger Barak gilt jedoch – zumindest derzeit – als ausgesprochener Gegner einer großen Koalition.
Fraglich ist derzeit, ob die Arbeitspartei unter der Führung eines ehemaligen Generalstabschefs mit mehr als 30 Jahren Militär-, aber wenig Politikerfahrung eine effektivere Opposition zur Likud- Koalition darstellen wird als im letzten Jahr. Traditionsgemäß betrachtet sich die Arbeitspartei als „zur Macht geboren“. Das Oppositionsdasein liegt ihr absolut nicht. In früheren Zeiten einer Regentschaft des Likud versuchte die Arbeitspartei, zumeist bereits einige Zeit vor den Neuwahlen mitzuregieren. Hintergrund war die Überlegung, daß ein Wahlsieg nur „von oben“, aus Machtpositionen durchgesetzt werden könne.
Die Außenwelt, vor allem aber die Palästinenser und die arabischen Staaten werden vermutlich mit Barak mit einem neuen israelischen Oppositionschef konfrontiert, der sich wesentlich weniger mit dem Nahost-Friedensprozeß identifiziert und der versuchen wird, den israelischen Wählern durch „harte Methoden“ zu imponieren. Eine echte Konkurrenz zu Benjamin Netanjahu.
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