GAU in der Schweineindustrie

In den niederländischen Tierfabriken ist die Schweinepest bisher nicht einzudämmen. Zwei Millionen Viecher wurden bereits getötet  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – Die Zahlen aus den Niederlanden, die auf der letzten Sitzung des EU-Vetrinärausschusses vorlagen, können dem Freund von Schnitzel und Mett einmal mehr den Appetit verderben: Über zwei Millionen Schweine sind in unserem Nachbarland nun schon „gekeult“ und in die Kadaververwertung geschafft worden, seit dort im südniederländischen Zentrum der industriellen Tierproduktion die Schweinepest ausgebrochen ist. Nur ein Fünftel der Viecher stammte aus den gut 200 tatsächlich infizierten Betrieben, noch mal ein Zehntel aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Die restlichen Borstentiere hatten zwar nur unter Quarantäne gestanden. Weil sie aber ihr Schlachtgewicht schon erreicht hatten, hätten sie nur noch Fett zugelegt und wären für die Bauern schließlich unverkaufbar gewesen. Sie wurden daher von der EU aufgekauft und zu Tiermehl verarbeitet.

Die Seuche grassiert schon seit Mitte Januar, doch ein Ende der Massentötungen in den Niederlanden ist nicht in Sicht. Beinahe täglich werden weitere Fälle gemeldet. Das für den Menschen ungefährliche Schweinepestvirus stammte wahrscheinlich aus der Verpflegung britischer Soldaten. Die hatten Dosen mit chinesischem Wildschwein zu ihrem Stützpunkt in Paderborn importiert. Die Essensreste wurden vorschriftswidrig direkt ans Borstenvieh verfüttert, ohne das Futter vorher zu sterilisieren. Der Erreger gelangte dann von Paderborn aus bald in die niederländische Provinz Limburg – in ein Gebiet hochgradig arbeitsteiliger Schweineproduktion, in dem im 10-Kilometer-Radius 700.000 Schweine gehalten wurden.

Die nordrhein-westfälischen Veterinärbehörden konnten die Seuche durch Quarantäne und Keulen bald eindämmen. Doch die Niederlande verhängten erst am 4. Februar, Wochen nach den ersten Anzeichen der Krankheit, eine Handelssperre über ihre Tierfabriken. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der hochinfektiöse Erreger, der selbst über Gülletröpfchen an Schuhen oder Reifen von Betrieb zu Betrieb wandern kann, schon weit verbreitet – möglicherweise auch über infiziertes Sperma aus Besamungsstationen.

Inzwischen hat sich EU-Agrarkommissar Franz Fischler darauf eingestellt, daß der Seuchenzug durch die Niederlande, wo knapp 15 Millionen Schweine gemästet werden, noch Monate dauern wird. Am Donnerstag letzter Woche hat die EU Mittel für die Tötung von weiteren 500.000 Schweinen bereitgestellt. Damit wendet Brüssel insgesamt schon rund 300 Millionen Mark für das Töten auf. Anders als bei den großen Schweinen kommt das schon länger geplante Keulen von einer halben Million Ferkeln nicht voran: Die niederländischen Behörden brachen das Töten nach Protesten wieder ab – „aus ethischen Gründen“, wie ein EU-Sprecher sagt.

Diese Art von Seuchenbekämpfung ist nicht nur für die EU, die nur 70 Prozent der Kosten trägt, sondern auch für die Niederlande teuer und zudem höchst unappetitlich und brutal. In Brüssel hat deswegen erneut die Diskussion über Impfungen gegen die Schweinepest begonnen. Das Impfen der Tiere ist in der Europäischen Union seit 1990 verboten, da die Handelspartner der EU Fleisch mit Antikörpern gegen die Schweinepest nicht akzeptieren. Denn nach der Impfung kann man das Fleisch nicht mehr von dem infizierter Tiere unterscheiden.

Die Bayer AG entwickelte nun einen markierenden Impfstoff, bei dem die Antikörper nur geimpfter Tiere von denen infizierter unterscheidbar sein sollen. Der Impfstoff wird aber noch getestet. „Eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen ist frühestens in einigen Jahren möglich“, sagt Fischlers Sprecher Johan Revniers. Angesichts dieser Rechtslage raten die niedersächsischen Seuchenexperten den EU-Veterinärbehörden zu beidem: zum Impfen und zum anschließenden Töten. „Da man in den Niederlanden mit dem Töten der Tiere ja gar nicht nachkommt“, solle man erst die Seuche über die Impfung eindämmen und diese Schweine dann später doch töten und zu Tiermehl verarbeiten, verlangt Detlev Küttler aus dem niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.

Zumindest ein Teil der betroffenen niederländischen Bauern ist bei den Tötungsaktionen bisher nicht schlecht weggekommen. Der Marktpreis pro Kilo Schwein, zu dem die Tiere aufgekauft werden, ist seit Beginn der Seuche von 2,20 auf gut 4 Mark gestiegen. Daran ist wiederum die Schweinepest selbst mit schuld. Sie verminderte das Angebot an Schweinefleisch nicht nur durch das für die gesamten Niederlande geltende Handelsverbot. Da niederländische Schweineproduzenten auch die Nachbarländer mit Ferkeln beliefern, wurden die kleinen Masttiere plötzlich knapp. Jetzt importiert die EU erhebliche Mengen an Ferkeln und auch an Schweinefleisch aus Tschechien und Ungarn. Jürgen Voges