„Irgendwie 'ne andere Wahrhaftigkeit“

Innenansichten einer geschlossenen Gesellschaft: Alexander Osangs Buch über Tamara Danz, die Grande Dame des Ostrock, liefert zugleich ein Stück Kulturgeschichte der DDR nach. Im Westen des Ostens lag der Süden der Sehnsucht  ■ Von Friederike Freier

Da sind sie alle versammelt: der erste Freund, die Sandkastenfreundin, Sommerliebe, Ehemann, Kollegen und Bewunderer. Für ein Buch des Reporters Alexander Osang erinnern sie sich an Tamara Danz, Frontfrau der Berliner Band Silly und Grande Dame des DDR- Rock. Sie starb im vergangenen Jahr 43jährig an Krebs. Danz war berühmt für ihre etwas kühle Schnoddrigkeit. Osang begegnet diesem Image mit einigem Mißtrauen; er trägt aus den Geschichten der Hinterbliebenen ein neues Bild der Sängerin zusammen – und liefert ein Stück Kulturgeschichte der DDR noch dazu.

Es beginnt bei der Musik. So unnahbar Danz sich präsentierte – in Stiefeln, Leder und mit viel Schminke –, was sie sang, war so abweisend nicht. Danz, die die Lyrics zur Musik von Silly beisteuerte, besang romantisch die verdreckten Berliner Straßen und Hinterhöfe, den „Mont Klamott“ genannten Trümmerberg im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Immer wieder ging es um Fluchtorte, an die es die „verlor'nen Kinder“ auf ihrer Suche „nach den warmen Ländern“ zieht.

Silly hatten Erfolg mit einer Mischung aus Rotzigkeit und Sehnsucht – und dank ihrer Resistenz gegenüber allzugroßer Vereinnahmung durch den Staat. Selbst als der etablierte DDR-Rock Mitte der Achtziger in die Krise geriet, waren Silly-Platten Verkaufserfolge. Im Westen allerdings blieb die Band trotz Unterstützung des Produzenten Jim Rakete (Spliff, Nena, Nina-Hagen-Band) weitgehend unbekannt. Aber sie überstand, wenn auch knapp, den Einbruch, den die Wende brachte. 1993 und 1996 erschienen wieder Platten der Band. Dann starb Tamara Danz.

Nicht nur ihre künstlerische Arbeit widerlegt den Mythos der unnahbaren Diva. Auch die Freunde erinnern sich an sehr verschiedene Seiten: an Danz' Aufstieg von der dickschädeligen, aber zurückhaltenden „Kapellenmeise“ zur Silly- Frontfrau, die sich in Machtkämpfen durchzusetzen verstand, die Band schließlich managte und zusammenhielt.

Sicheres Projekt: eine Tina Turner des Ostens

Kollegen hatten ihr ursprünglich eine ganz andere Rolle zugedacht: Danz' Karriere mit Silly (die damals als „Familie Silly“ auftrat) begann damit, daß Kollege Mathias Schramm sie aussuchte, um aus ihr eine „Tina Turner des Ostens“ zu machen. Schramms Plan baute auf die Westorientierung der DDR- Gesellschaft. Ein sicherer Weg, sich im Kulturbetrieb Ost Publikumsgunst zu erspielen, führte lange über die Imitation unerreichbarer Weststars. Danz selbst wehrte Vergleiche mit Tina Turner stets unwirsch ab, kokettierte aber doch damit. Schließlich hatten ihre Frisur und ihr Image als „Powerfrau“ ein ziemlich eindeutiges Vorbild.

Danz und die meisten ihrer Freunde zählen zu einer Generation, die die DDR trotz Kollisionen mit der Staatsgewalt als Heimat begriffen. In ihren Biographien verlängert sich die DDR über ihr Ende hinaus. Osangs Reportagen betonen diese Kontinuität und bieten Innenansichten aus einer geschlossenen Gesellschaft, die sich nur langsam auflöst. Der Autor, ebenfalls aus dem Osten, stellt sich in die Nähe derer, über die er schreibt. Das hat etwas Kumpelhaftes, nützt aber in jedem Fall seinem journalistischen Anliegen: Danz selbst bat ihn, seinen Nachruf auf sie zu schreiben, und ihre Freunde – allen voran ihr Ehemann und Bandkollege Uwe Hassbecker – gewähren ihm Einblick in sehr private Sphären. Osang nutzt ihre Offenheit, ist aber weit davon entfernt, sie reißerisch auszuschlachten. Die Qualität seiner Texte liegt darin, daß sie behutsam sind, ohne dabei vor Pietät zu wabern.

Meistens läßt er seine Interviewpartner nicht einfach reden, sondern liefert ihr Porträt gleich mit. Er setzt ihren Aussagen seine Kommentare entgegen, fügt Beschreibungen hinzu und verarbeitet seine Interviews im Stil des New Journalism zu Reportagen mit subjektivem Blick. Allerdings – die dokumentenunterfütterte Danz- Biographie werden andere schreiben müssen. Osang erklärt sich lediglich für die „Legenden“ zuständig.

Neben dem notorischen Millionärs-Ehepaar Klingbeil ist Jim Rakete Osangs einziger westlicher Gesprächspartner. Rakete schätzte die Band: „Es war einfach gut, mit denen zu sprechen. Die Sprache. Dieser Humor. Das hatte irgendwie 'ne andere Wahrhaftigkeit. Das war alles nicht so snappy. Es war erdiger.“ Die Vermarktung von Silly allerdings gelang ihm nicht – weil er die Sprache der Band einfach nicht verstand, vermutet er selbst. Es habe ihn zum Beispiel irritiert, sagt Rakete, daß Sillys Image so sehr auf vordergründiges Beeindrucken abgestellt gewesen sei: „Die Sillys sahen immer aus wie die Heizer der Apokalypse. Das war bei uns längst vorbei.“

Raketes Unverständnis ist ein schönes Beispiel für die Verschiedenheit der Chiffren in Ost- und Westkultur. Zwar bezog der Kulturbetrieb Ost jede Menge Einflüsse aus dem Westen, aber die übernommenen Zeichen änderten ihre Bedeutung. Sillys „Machismo“, der Rakete irritierte, ist einer der Schockeffekte, die in der DDR viel länger wirksam waren als im Westen. Restlos alles aufzufahren, was man aufzufahren hat, war eine weitverbreitete Masche, ein Komplement zur Hamstermentalität. Während sich im Westen Schrilles schnell abnutzte und ersetzt werden mußte, war schneller Wechsel in der DDR überflüssig – die Schrullen verbreiteten sich ja noch nicht mal im ganzen Land. Abseits von Berlin raunte man in der DDR-Provinz bis in die späten achtziger Jahre immer noch ehrfurchtsvoll (oder angeekelt, je nachdem) von den Gestalten in seltsamer Kleidung und Haartracht, die in der Hauptstadt zu besichtigen waren.

Es war nicht einfach für Danz und Kollegen, sich im neuen System einzurichten. Doch in der Zeit vor dem Tod ihrer Frontfrau gelang es dem Modell Silly, die vertrauten Bilder weiterzuentwickeln – und zwar jenseits trotziger „Ist alles genauso beschissen wie vorher“-Haltung. Schließlich braucht auch der Kapitalismus seine Fluchtorte, seine Sehnsucht nach dem Süden. Und sie verschwindet auch nicht, wenn man heute hinreisen kann, „in die warmen Länder“.

Alexander Osang: „Tamara Danz. Legenden“. Chr. Links Verlag. 223 Seiten, 39,80 DM

Greatest-Hits-CDs von Silly sind bei Amiga/BMG erschienen