Skulptur stört Chinas Feststimmung

Heute soll in Hongkong ein Denkmal zur Erinnerung an das Tiananmen-Massaker enthüllt werden. Die Kontroverse zeigt die Schwächen der Formel „Ein Land, zwei Systeme“  ■ Aus Hongkong Sven Hansen

Der „Pfahl der Scham“ besteht aus 50 ineinander verwobenen Körpern mit schmerzverzerrten Gesichtern. Die von dem dänischen Künstler Jens Galschiot zum Gedenken an das Tiananmen- Massaker gefertigte Skulptur soll heute abend im Hongkonger Victoria-Park enthüllt werden. Zu der Mahnwache zum Gedenken an die gewaltsame Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung vor acht Jahren werden mehrere zehntausend TeilnehmerInnen erwartet.

In Hongkong haben zwei städtische Gremien die Genehmigung für das Aufstellen der Statue auf öffentlichen Plätzen verweigert. Pekingtreue Politiker bezeichneten die Skulptur als „schrecklich“. Sie störe die Feststimmung vor der Wiedervereinigung mit China. Demokratiegruppen sprachen daraufhin von Zensur. Sie hoffen jetzt, die Statue auf einem Universitätscampus aufstellen zu können.

Der Streit um die Skulptur markiert den wunden Punkt in den Beziehungen zwischen Hongkong und China. Kein Ereignis hat das Verhältnis so geprägt wie die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung 1989. „Damals, am 4. Juni, hat Hongkongs Bevölkerung den Charakter der chinesischen Regierung erkannt und diese den der Hongkonger Bevölkerung“, sagt Han Dongfang, Hongkongs bekanntester chinesischer Dissident. „Mein Eindruck ist, daß die meisten Menschen in Hongkong vor 1989 Peking vertrauten. Umgekehrt dachte die chinesische Regierung, Hongkongs Bevölkerung wäre leicht zu kontrollieren.“

Als vor acht Jahren das Militär in Peking mehrere hundert Menschen tötete, gingen im schockierten und bis dahin weitgehend unpolitischen Hongkong eine Million Menschen auf die Straße, ein Sechstel der damaligen Bevölkerung. Mit der Schlagzeile „Verurteilt die blutigen faschistischen Verbrechen“ rief selbst die pekingnahe Hongkonger Zeitung Wen Wei Po zum Protest auf.

Das Tiananmen-Massaker steht seitdem für die Angst, die man in Hongkong vor China hat. Das gewaltsame Ende der Demokratiebewegung symbolisiert das Ausmaß der Repression, die auf die Stadt unter chinesischer Herrschaft zukommen könnte. Umgekehrt wurde den Herrschenden in Peking bewußt, welches politische Risiko Hongkong für sie darstellt.

Die Bevölkerung der Kolonie verband mit Chinas Protestbewegung die Hoffnung, daß mehr Demokratie dort auch zu mehr Mitbestimmung in Hongkong führen würde. „Der 4. Juni hat in Hongkong ein Gefühl chinesischer Identität ausgelöst. Chinas Demokratiebewegung gab uns ein Beispiel für unsere eigenen Sehnsüchte“, sagt Margaret Ng, eine unabhängige Abgeordnete im Hongkonger Legislativrat. „Nach 1989 wurde Pekings Ton gegenüber Hongkong unfreundlicher“, so Professor Ting Wai von der Hongkong Baptist University.

„Peking sandte nach 1989 nur noch Hardliner nach Hongkong“, so Ting. „Die Bevölkerung kann hier seitdem kaum etwas machen, um China und Hongkong zu demokratisieren. Das hat zum Gefühl politischer Impotenz geführt.“

Die Zukunft der jährlichen Tiananmen-Mahnwache nach der Übernahme Hongkongs durch China am 1. Juli ist ungewiß. Hongkongs künftiger Regierungschef Tung Che-hwa hat bereits gefordert, nach vorne zu blicken und künftig auf solche Veranstaltungen zu verzichten. Sie seien nicht konstruktiv. Tung sagte zwar, die Proteste blieben erlaubt, solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegten. Doch seine Regierung hat kürzlich die Gesetze über die öffentlichen Ordnung verschärft. „Die Frage ist, wie viele Menschen den Mut haben, in Zukunft den Mund aufzumachen“, so Dissident Han.

Tung betont, Hongkong und China seien „ein Land“. Er wirbt um Verständnis für Peking. Seine künftige Stellvertreterin Anson Chan, Hongkongs höchste Beamtin und noch die Stellvertreterin des britischen Gouverneurs, betont hingegen die Unterschiede der „zwei Systeme“. Nach der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ hat Peking Hongkong für 50 Jahre die Beibehaltung seines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und weitgehende Autonomie zugesagt.

Laut Chan, nach Umfragen die beliebteste Politikerin, ist Hongkong nicht gleich China. Die Stadt habe ihre eigene politische Kultur entwickelt, zu der auch Proteste gehörten. „Die Uhr läßt sich nicht einfach zurückdrehen“, so Chan. Während die Medien über einen Bruch mit Tung spekulieren, zeigt der Streit die Schwächen der Formel „Ein Land, zwei Systeme“.

„Wenn wir ein Land sind“, so folgert Professor Ting, „ist es nur konsequent, daß sich Hongkongs Menschen für Demokratie in China einsetzen.“