Zutraulich wirken, zubeißen

■ Der Hamburger Disco-Entertainer Andreas Dorau über die Probleme ernster Musik und die Kardinalfehler des Menschen

Kein deutschsprachiger Musiker außer Andreas Dorau (Foto) würde sich trauen, „Goethe“auf „Flöte“zu reimen oder über die „Blaumeise Yvonne“zu singen. Über seinen Hit „Fred vom Jupiter“von 1980 mag der ziegenbärtige Hamburger heute nicht mehr reden. Dabei verfaßt er auch 17 Jahre nach seiner Jugendsünde noch immer naive Reime zu elektronischen Tanz-Schlagern. So kicherte er vor drei Jahren aus jedem Radio „Das Telefon sagt Du“. Auf seiner neuen 53minütigen LP leimt er die Zuhörer sogar mit dem Titel 70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft. Dorau trällert wie ein kleiner Junge und zeigt sich auf Plattenhüllen und in Videos mit Vorliebe in Frauenkleidern oder Ski-Anzügen.

taz: Reizt es dich nicht manchmal auch, einen richtig ernsten Song zu schreiben?

Andreas Dorau: Es gibt ja kaum gute ernstgemeinte Stücke. Und ich möchte nicht einer der vielen sein, die daran scheitern. Die meisten Texte sind Oberschülerlyrik, oder die Musik arbeitet durch ihre Kommerzialität gegen den Inhalt des Stückes.

Musik, die sich selbst nicht so ernst nimmt, paßt ja ohnehin besser in die von Bad Taste und Spaß-Kultur geprägten Neunziger als in die eher gepflegten Achtziger, oder?

Die Achtziger waren ein Angeber-Zeitalter, in dem die Leute nur auf den Schein bedacht waren. Die Frisuren waren riesig, und die Snare-Drum knallte von hier bis zum nächsten Häuserblock. Das war einer der Gründe, wieso ich aufgehört habe, Musik zu machen, weil ich mich da nicht wiederentdeckt habe. Also habe ich in München an der Filmhochschule studiert. 1987 habe ich wieder angefangen, Stücke zu schreiben.

Heute strotzen deine Platten nur so von Samples.

Ich nehme mir einen Stapel Platten und sample ein halbes oder ganzes Jahr lang jeden Tag zwei Stunden. Wenn ich fünf Kassetten voll habe, suche ich mir die besten heraus und habe dann meist schon wieder vergessen, wo sie herkommen.

Auf deiner neuen Single So ist das nun mal singst du unter anderem: „Das Steuer seines Lebens lenkt man doch meist vergebens“.

Jeder Mensch hat durch Gene oder Erziehung eingebaute Kardinalfehler, die er immer wieder macht. Manche Fehler sind einprogrammiert: Du vertraust den falschen Leuten oder hängst falschen Idealen nach. Man schwört sich, diese Fehler nicht mehr zu machen, aber es ist einfach in einem drin.

Bist du „scheinzahm“, wie eines deiner neuen Lieder heißt?

Ich möchte die Deutungsmöglichkeiten zu meinen Stücken lieber offen lassen. Das Wort kommt aus dem Tierlexikon. Es beschreibt Tiere, die zutraulich wirken, und wenn man sie anfassen möchte, beißen sie einen.

Fragen: Timo Hoffmann

Fr, 6. Juni, 22 Uhr, Grünspan