: Live aus dem Fotoalbum des Angeklagten
■ Nach Fernseh-Reportage über Stradivari-Fall kann der Geiger Vasile D. nicht mehr als Straßenmusiker auftreten
Der Spießrutenlauf des Musikstudenten Vasile D. nimmt kein Ende. Seit dem im Oktober des vergangenen Jahres seine Professorin, Maria Grevesmühl, auf dem Bahnhof in Bremen-Schönebeck überfallen und getötet wurde, kämpft der Student gegen seine Vorverurteilung. Zwischenzeitlich ist Anklage gegen ihn erhoben worden, wegen Anstiftung zum Raub. Vasile D. soll seinen Bekannten Marin B. dazu animiert haben, die Lehrerin zu überfallen, um an ihre Stradivari (geschätzter Wert: rund zwei Millionen Mark) zu kommen. Der Student beteuert seine Unschuld. Der Termin für die Gerichtsverhandlung steht noch nicht fest. Für die Medien hieß der Schuldige allerdings von Anfang an: Vasile D.
Vor wenigen Tagen hat die ARD die Geschichte über den tragischen Tod der Musikprofessorin in einer von Radio Bremen produzierten Reportage „Der Fall Stradivari – eine Woche bei der Bremer Mordkommission“ausgestrahlt. Seitdem kann der Musikstudent, der sich seinen Lebensunterhalt auch als Straßenmusiker verdient, „nicht mehr in der Öffentlichkeit spielen“, sagt der Galerist Chris Steinbrecher, ein Freund des Geigers.
Vasile D. will sich nach den Erfahrungen mit der Presse nicht mehr äußern. Der Musikstudent ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das Landgericht hält die Aussage Marin B.'s, auf die sich die Anklage der Staatsanwaltschaft stützt, „teils für sich allein schon oder aufgrund des Ergebnisses der Ermittlungen in vielen Einzelheiten für wenig glaubhaft“. Das wird in dem Film von Dirk Blumenthal allerdings nur am Rande erwähnt. Statt dessen beginnt die Reportage mit einer Großaufnahme von Vasile D., der ein selbst komponiertes Lied für seine tote Lehrerin spielt. „Das ist der Musikstudent, der unter Verdacht steht, etwas mit dem Tod der Musikprofessorin Maria Grevesmühl zu tun zu haben.“Blumenthal hält die Arbeit der Mordkommission im Fall Grevesmühl akribisch fest. Die blutigen Eingeweide der Musikprofessorin, die der Gerichtsmediziner bei der Obduktion seziert, werden gezeigt. Kurz vorher wird das Foto der Musikprofessorin eingeblendet. Das Schlafzimmer von Vasile D. wird gefilmt. Die Kripobeamtin durchblättert gemeinsam mit den Fernsehzuschauern das persönliche Fotoalbum und läßt sich hinreißen zu dem Satz: „Die Schwiegermutter sieht weg.“Das Vorstrafenregister des geständigen Täters Marin B., ein etwa zwei Meter langer Computerausdruck, wird vor den Augen der Fernsehzuschauer im wahrsten Sinne des Wortes ausgerollt und verlesen. Vor Gericht warten die Richter damit gewöhnlich bis zum Ende der Beweisaufnahme. Kurz darauf rauft sich eine Kripobeamtin vor der Kamera die Haare. Vasile D. will nicht gestehen. „Der ist eiskalt“, empört sich die Beamtin. Auch ihr Kollege ist fassungslos. Schließlich habe Vasile D. doch soviele kostenlose Unterrichtsstunden bei Maria Grevesmühl bekommen. „Und dann sowas.“Die Möglichkeit, daß der junge Geiger die Tat so vehement bestreitet, weil er vielleicht unschuldig ist, ziehen weder die Beamten noch das Kamerateam in Erwägung. „Du bist jetzt echt angefaßt“, findet Blumenthal stattdessen mitfühlende Worte für die Kripobeamtin. „Ja, bin ich“, gibt sie zurück. Wenig später sind im Hintergrund Wortfetzen der Vernehmung zu hören. „Du hast deine Gönnerin auf dem Gewissen“, sagt ein Beamter eindringlich. „Nein.“„Hast du doch.“„Nein.“
Der Bruder von Vasile D., der ebenfalls unter Verdacht stand, etwas mit dem Tod der Musikprofessorin zu tun zu haben, ist zwischenzeitlich nach Rumänien abgeschoben worden. Die Kamera filmt den Mann beim Abflug. Daß sich die Aussage der Zeugin, die ihn im Zug mit Maria Grevesmühl gesehen haben will, inzwischen als falsch herausgestellt hat, verschweigt der Film. Statt dessen wird die Frau gezeigt, wie sie auf das Foto des Bruders tippt und ihn identifiziert.
Zwei der Verdächtigen (der Bruder von Vasile D. und ein ebenfalls verdächtigter Student, der von einer Reise aus Rumänien nicht zurückgekehrt ist) werden „niemals vor Gericht gestellt“, schlußfolgert Blumenthal im Hintergrund. Darauf, daß der Bruder nur abgeschoben werden konnte, weil keine Anklage erhoben wird, geht er nicht ein.
Am Ende wird wieder Vasile D. gezeigt, als er das selbstkomponierte Lied für seine Professorin spielt. Die Einnahmen für dieses Benefiz-Konzert in Höhe von 1.080 Mark würde sich der Geiger in die eigene Tasche stecken, läßt Blumenthal den Film ausklingen. Daß die engagierten Musiker freiwillig auf ihre Gage verzichtet haben, um den Anwalt für den unter Verdacht geratenen Studenten zu bezahlen, erfahren die Fernsehzuschauer nicht.
„In diesem Film sind die Persönlichkeitsrechte mehrere Personen eklatant verletzt worden“, ist sich Chris Steinbrecher sicher. „Er ist tendenziös und vorverurteilend.“„Ich habe ein gutes Gewissen“, sagt hingegen Blumenthal. „Das ist alles juristisch durchgeprüft worden.“Daß er mit seinem Film die Vorverurteilung von Vasile D. schüren könnte, glaubt der Journalist nicht. „Das sehe ich nicht so. Ich referiere nur die Fakten. Das ist ja alles tatsächlich so passiert.“Außerdem sei der Bericht „eine Reportage“, die nicht mit der herkömmlichen „Kriminalberichterstattung“zu vergleichen sei. Deshalb habe er auch darauf verzichtet, den Anwalt von Vasile D. – der sich für ein Interview angeboten hatte – zu Wort kommen zu lassen. „Ich habe die Arbeit der Kripo dargestellt. Das war mein Ansatz“, sagt Blumenthal und betont: „Ich bin kein Richter, sondern Journalist.“
Kerstin Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen