: Den Iren geht es gut – die Regierung muß gehen
■ Bei den Parlamentswahlen in Irland dürfte heute die Fianna Fáil, die größte irische Partei, die bisherige Regierungskoalition von Premierminister John Bruton ablösen
Dublin (taz) – Heute wird in Irland die Regierung abgewählt. 2,7 Millionen IrInnen müssen 166 Abgeordnete in 41 Wahlkreisen bestimmen. Seit 1969 ist es keiner irischen Regierung gelungen, im Amt bestätigt zu werden. Dabei wären die Voraussetzungen diesmal günstig: Das Wirtschaftswachstum liegt im fünften Jahr hintereinander bei deutlich über 5 Prozent, die Inflationsrate beträgt 1,8 Prozent, und die Auswanderer kehren zurück. Bei Umfragen sagen 57 Prozent, daß sie mit der Regierung zufrieden sind. Dennoch wird Premierminister John Bruton von der Fine-Gael-Partei wohl seinen Hut nehmen müssen.
Schuld daran hat zum Teil der Koalitionspartner, die Labour Party. Hatte sie ihre 16 Sitze bei den vorigen Wahlen noch mehr als verdoppeln können, so wird sie heute wieder auf ihr Normalmaß zurechtgestutzt. Man kreidet es ihr an, daß sie sich von der Opposition aus stets lauthals als Saubermann präsentierte, dann aber nicht die Konsequenzen zog, als die Politiker des Fine-Gael-Koalitionspartners reihenweise der Korruption überführt wurden.
Probleme hat auch der kleinste im Bunde der Regenbogenkoalition, Democratic Left. Ihr Chef Proinsias De Rossa, ein geläuterter IRA-Kämpfer, soll in den achtziger Jahren schriftlich bei der Moskauer KP um eine Million Pfund gebettelt haben, weil die „Sonderaktivitäten zur Geldbeschaffung“ – sprich Banküberfälle – immer schwieriger würden.
Nutznießerin wird die größte Partei, Fianna Fáil, sein. Mit den Progressiven Demokraten, einer thatcheristischen Partei, die sich vor ein paar Jahren von Fianna Fáil abgespalten hat, will sie eine Koalition bilden. Zwar ist auch Fianna Fáil in den Korruptionsskandal verwickelt – ihr Altersvorsitzender Charlie Haughey soll mehr als eine Million Pfund von einem Geschäftsmann kassiert haben –, doch Parteichef Bertie Ahern hat sich von ihm distanziert.
Ahern ist 45, stammt aus Dublin und lebt von seiner Frau getrennt. Noch-Premierminister Bruton läßt deshalb keine Gelegenheit verstreichen, sich mit Frau und Kindern zu zeigen. Aber das traute Familienbild zieht nicht mehr im heutigen Irland, heute spielen andere Dinge eine Rolle: Kriminalität, Arbeitslosigkeit, Drogenhandel. Wahlentscheidend sind auch sie nicht, da keine der großen Parteien irgendwelche radikalen Lösungen vorschlägt. Sie drängeln sich allesamt in der Mitte mit kleinen Abweichungen nach links und rechts.
Von dem Zynismus, der sich nach Enthüllung der Korruptionsskandale bei den Wählern breitgemacht hat, werden vor allem die Grünen profitieren. Sie könnten fünf Mandate erringen, bisher hatten sie nur eins.
Und dann sind da noch die unabhängigen Kandidaten, deren Wahlkampf nur aus einem Thema besteht – zum Beispiel Wasserpreise oder Legalisierung der Deflektoren, die an der Grenze zu Nordirland die britischen Fernsehsignale abfangen und an die Haushalte in der Umgebung zum Selbstkostenpreis weiterleiten. Dank des irischen Wahlsystems haben Parteilose gute Chancen, gewählt zu werden. Man macht in Irland nämlich kein Kreuzchen, sondern numeriert die Kandidaten in der Reihenfolge seiner Präferenz. Hat ein Kandidat mehr Stimmen, als er benötigt, um gewählt zu werden, verteilt man die überschüssigen Stimmen auf die Kandidaten zweiter Wahl. Genauso verfährt man mit den aussichtslosen Kandidaten: Ihre Stimmen werden ebenfalls verteilt. So geht keine Stimme verloren, und es ist für ein spannendes Auszählungswochenende gesorgt. Auch die IRA-Partei Sinn Féin könnte zum ersten Mal seit 1981 wieder einen Sitz gewinnen. Rund 12 Prozent der Stimmen sollen laut Umfragen auf die Kategorie „Andere“ fallen, zu denen die Grünen, Sinn Féin und die Unabhängigen zählen.
Auf einen größeren Anteil kommen nur Fianna Fáil und Fine Gael – und die Nichtwähler. Ein Viertel der jungen Leute unter 25 haben erklärt, daß sie nicht wählen wollen. So besteht durchaus die Möglichkeit einer Pattsituation nach Auszählung der Stimmen. Dann werden die Koalitionskarten neu gemischt, und vielleicht finden Fianna Fáil und die Labour Party wieder zusammen. Der Labour- Chef, Außenminister Dick Spring, hat das zwar kategorisch abgelehnt, aber vor drei Jahren hat er die Koalitionsvereinbarung mit Fianna Fáil auch in letzter Sekunde gebrochen. Bertie Ahern durfte sich damals zwölf Stunden als Taoiseach – die Iren nennen ihren Premierminister „Häuptling“ – fühlen. Dann war er Oppositionsführer. Diesmal wird es vermutlich klappen. Ralf Sotscheck
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