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Lose Schweinehunde

■ Stewart O' Nan liest aus seinem vielbeachteten Debüt „Engel im Schnee“

An diesem Winternachmittag 1974 endet die Orchesterprobe mit einem Knall. Nicht weit entfernt vom 15jährigen Posaunisten Arthur schießt ein kriminell enthemmter Gatte seine Frau Annie aus dem gemeinsam verkorksten Leben. Das Ende der schönen Rabenmutter und ehemaligen Babysitterin von Arthur markiert zugleich den Beginn einer ersten Liebe. Und schließlich bleibt Annies Kräuterdeodorant, vertraut aus all den Zu-Bett-bring-Ritualen, Arthur, dem pubertierenden Ich-Erzähler, noch lange in der Nase. Er erinnert sich und küßt damit auchAnnie, das Objekt seiner noch flaumigen erotischen Sehnsüchte, wieder wach.

Die Beobachtungen eines allwissenden Erzählers, den der Bostoner Autor Stewart O' Nan in seinem Romandebüt Engel im Schnee (Rowohlt) geschickt überall dorthinein plaziert, wo Arthur nicht hineinschauen kann, verzahnen sich mit den Wahrnehmungen des zwischen erwachsener Eigensinnigkeit und kindlicher Besserwisserei streunenden Ich-Erzählers. Und so führt O–Nan mit kompakt-realistischer Sprache die Vorgeschichte des Mordes langsam – in parallel und gegeneinander geschnittenen Szenen – auf Arthurs aktuelle Reifeprüfungen zu.

Die Bilanzen der Protagonisten sind allesamt bitter. Wer hier in einem Kaff in Pennsylvania nicht säuft oder sein Kind schlägt, der versucht gerade, in Therapien den inneren Schweinehund an die Kette zu legen. Auch Arthurs Eltern verbittern im Scheidungsclinch. Doch wider alle Vorahnungen stürzt Arthur sich neugierig auf all jene Verheißungen, um die die Erwachsennenwelt ein großes Raunen anstimmt und aus denen sie immer wieder ihre Katastrophen zeugt.

Engel im Schnee lebt nur vordergründig von einer eindrucksvoll durchkomponierten Handlung, tatsächlich aber von den mit extremer Empfindsamkeit registrierten Momenten der Leere und der Lüge. O'Nans präzise Beobachtungen stimmen einen sensiblen, aber mitleidlosen Blues an, der ein unendlich weites Amerika besingt, das in seiner Tristesse jedoch immer übersichtlicher wird. Und obwohl es keinen Anlaß gibt, auf mehr individuelles Glück als ein Stück Pizza zu hoffen, verliebt sich Arthur in Lila. Mit ihr, da soll, da muß es alles ganz anders werden. Und so wandern sie gemeinsam durch das Trümmerfeld vorgelebter Beziehungen, in dem immer noch nicht sämtliche Minen hochgegangen sind. Doch aus erschossenen Hexen werden keine Hausfrauen oder Mütter mehr, die Väter kommen nicht zurück. Birgit Glombitza

Lesung: Mo, 9. Juni, Amerikahaus, Tesdorpfstr.1, 20 Uhr

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