Freiburg steigt ab

■ Nach der Entlassung des Feuilletonchefs der "Badischen Zeitung", Gerhard Jörder, formiert sich der Widerstand

Immer, wenn in letzter Zeit große Tageszeitungen einen Feuilletonchef suchten, war Gerhard Jörder (54) im Gespräch, schließlich sitzt der renommierte Theaterkritiker in der Jury des Berliner Theatertreffens und gilt in der bundesdeutschen Kulturszene als honoriger Mann. Doch Jörder, der seit vierundzwanzig Jahren die Kulturredaktion der Badischen Zeitung in Freiburg leitet, wollte nicht wechseln. Das Provinzfeuilleton habe einen großen Charme, sagte er neulich – deswegen wohl ist er der Badischen vierunddreißig Jahre treu geblieben. Doch nun hat sie ihn verlassen.

Nicht nur bei Jörder war der Schock groß, als Chefredakteur Peter Christ in der Redaktionskonferenz die Trennung bekanntgab. Es seien Tränen geflossen, als man von Jörders angedrohtem Rausschmiß gehört habe – denn wenn es etwas gäbe, was die BZ überregional interessant mache, dann sei das der herausragende Kulturteil. Im Rausschmiß Jörders sehen viele Mitarbeiter nicht nur einen Abschied von der internen Diskussionskultur, sondern auch eine inhaltliche Regression: zurück in die Regionalliga.

Vorläufiger Tiefpunkt eines Trainerwechsels, der bereits vor zwei Jahren stattfand: Damals wurde Ansgar Fürst, langjähriger Chefredakteur, in Pension geschickt. Unter seiner Regie hatte die Badische Zeitung jene Qualitäten entwickelt, die heute noch viele Leser an ihr schätzen. Nach außen eine liberale, offene Haltung in politischen und kulturellen Fragen – nach innen ein offener Meinungsaustausch, ohne daß ein Unbequemer gleich um seinen Arbeitsplatz fürchten mußte. Fürsts Nachfolger, der Wirtschaftsjournalist Peter Christ (früher Spiegel, Zeit, Manager-Magazin), hat andere Prioritäten. Gemeinsam mit zwei Stellvertretern will er die langsam sinkende Auflage der Zeitung (im ersten Quartal 97 waren es knapp 200.000 Exemplare) stoppen: So sollen die festangestellten Redakteure mehr selbst schreiben und weniger freie Autoren beschäftigen. Ein Prinzip, daß sich gerade im Feuilleton schwer umsetzen ließ – und schon gar nicht unter dem Theaterfreund Jörder. Die wichtigen Inszenierungen finden nun mal nicht in Freiburg statt.

„Eine Kulturseite kann man nicht mit Agenturtexten machen“, ließ Jörder die Zeitschrift Theater Heute wissen und machte sich mit dieser Aussage für die sparsame Verlagsspitze wohl endgültig zum Querulanten.

Manche in Freiburg vermuten, daß Christ von seinen Verlegern zu einer härteren Gangart gedrängt worden sei. Andere glauben, daß er sich den lange Zeit als neuen Chefredakteur gehandelten und redaktionsintern hochgeschätzten Jörder vom Hals schaffen wollte. Oder auch dessen nach zwanzig Jahren wohl unumgängliche Vetternwirtschaft in der Klein- und Kulturstadt Freiburg ausmerzen.

Für die meisten aber ist Christ schlicht überfordert und trifft deshalb unsinnige Entscheidungen: So habe er zunächst einen Sportredakteur eingestellt, der sich durch gelungene Fußballreportagen in der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet hatte, um dem von der Bild eingekauften Sportchef ein Korrektiv gegenüberzusetzen. Wochen danach hieß es plötzlich, der Sportteil müsse im Boulevardstil gehalten werden. Eine chaotische Personalpolitik, die nicht nur beim ehemaligen Chefredakteur Ansgar Fürst Befremden hervorruft: „Jörder ist ein Kapital für die Redaktion. Das sollte man nicht verschleudern.“ Auch Hans J. Amman, Intendant des Freiburger Theaters, ist empört – als Theaterleiter und als langjähriger Freund Jörders. An einen Abschied Jörders von seiner Heimatstadt und Aufbruch in die großen Feuilletons der Republik glaubt er dennoch nicht: „Ich sehe Gerhard Jörder in einem Jahr als freischaffenden Publizisten“ – natürlich in Freiburg.

Dort formiert sich nun Widerstand gegen den Rauswurf: Viele Kulturinstitutionen solidarisieren sich mit Jörder – heute abend soll eine Protestveranstaltung zu seiner Unterstützung stattfinden. „Das Klima in der Redaktion ist versaut“, kommentierte der SWF, „nicht erst durch den Rausschmiß Jörders – aber jetzt wohl endgültig.“ Stefan Kuzmany