Shene Prinzessinnen

■ Barbra- oder Barbiepuppe? Im Baltimore Museum spielt "Too Jewish?" mit Identitätsmodellen von Juden in den USA

Auf einem Fernseher läuft eine alte Folge der Comedysendung „Saturday Night Live“, in der Gilda Radner ein schlankes Jeansmodel spielt. Bei näherem Hinsehen entdeckt der Betrachter statt des Levi's- oder Wrangler-Labels einen gelben Davidstern auf den Hintertaschen der Hosen. Untermalt werden die Bewegungen der hüftschwingenden, goldkettenbehängten und kaugummikauenden Schönheit mit der eingängigen Melodie eines Werbespots: „Jewess Jeans. She's got a lifestyle uniquely hers, Europe, Nassau, wholesale furs. She's an American princess and a disco queen.“ Dann ist der Videoclip bereits zu Ende.

Die zweite Station der Ausstellung im Baltimore Museum zeigt ein bekannteres Image: In dreifacher Ausführung hat Deborah Kass überlebensgroß und in Silber und Schwarz Barbra Streisand als Rabbinerschüler Yentl aus dem gleichnamigen Film abgebildet. Für die Künstlerin ist das Porträt ein prägnantes Beispiel von Geschlechterambiguität und Kritik an einer „traditionell jüdischen“, männlich dominierten Erziehung.

Bereits diese beiden Beiträge sind mit ihrer Vieldeutigkeit, der Nähe zum Pop und der Fokussierung auf Geschlechterkonfigurationen eine Einstimmung auf das Programm der Ausstellung: Gibt es eine „authentisch jüdische“, homogene Identität?

„Too Jewish?“ kommt sehr spät. Offenbar greifen jüdisch- amerikanische KünstlerInnen die Identitätsthematik im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen relativ selten auf. Erklären läßt sich dieses Zögern damit, daß die ältere Generation sich nach einer Phase des Kampfes um Anerkennung und gegen Antisemitismus radikal assimiliert hat, was häufig in eine Spaltung von öffentlichem und privatem Selbst mündete. Deshalb waren viele Juden mit dem Paradox konfrontiert, daß sie im politischen, ökonomischen und künstlerischen Bereich eine bedeutende Rolle spielten, gleichzeitig aber ihre kulturelle oder eben religiöse Spezifizität verleugneten.

Die jüngeren, meist in New York lebenden jüdischen KünstlerInnen setzen sich auf eine sehr spielerische Weise mit Identität auseinander und verleihen „Too Jewish?“ damit einen stark transgressiven Charakter. Drei Fragen stehen im Zentrum: Wer stellt uns dar? Wie werden wir dargestellt? Wie stellen wir uns selbst dar?

Ein Beispiel für die Wahrnehmung und Abwertung von Juden durch andere ist Dennis Kardons „Jewish Noses“ (1993–1995). Kardon nimmt sich die antisemitische Konstruktion des jüdischen Körpers vor, indem er die Nasen verschiedener bekannter jüdischer Persönlichkeiten modelliert und diese, mit Namensschildern versehen, nebeneinanderstellt. Damit benutzt er die Zuschreibung einer „Differenz“ zu bestimmten Ethnien, wie sie aus der rassistischen Arbeitsweise der Anthropologie des 19. Jahrhunderts hervorgegangen ist, und mißt das Ganze an der Ironie zeitgenössischer Kunst.

Weiterhin beschäftigen sich KünstlerInnen wie Deborah Kass, Cary Leibowitz oder Adam Rolston mit der fehlenden Repräsentation jüdischer Kultur in verschiedenen Bereichen des Alltags. So bezieht sich etwa Deborah Kass' „Four Barbras“ (1992) mit der Anordnung verschiedenfarbiger Fotos von Barbra Streisand auf die Pop-art eines Andy Warhol und zeigt auf, daß jüdische Ikonen aus der popular culture weitgehend ausgeschlossen waren. Damit offenbart Kass einen bisher ausgeklammerten Aspekt aus der Zeit der Assimilierung und schreibt sich zugleich neu in die Kunstgeschichte ein.

Statt binäre Oppositionen im Sinne eines vermeintlich stabilen Selbst und eines Anderen zu konstruieren, betont die Ausstellung die Binnendifferenzen der jüdischen Gemeinde. Diese Heterogenität umfaßt besonders die Bereiche religiöse Überzeugung, sexuelle Präferenz, Geschlechterdifferenz, Generationskonflikte, den Umgang mit der Vergangenheit sowie die Suche nach Identifikationsfiguren. So greift Nurit Newman auf humoristische Weise typisch jüdische Stereotypen wie etwa den „schwächlichen jüdischen Mann“ oder die passive, gefallsüchtige, unersättliche, materialistische „jüdische Prinzessin“ auf. Neil Goldbergs mit Namen von Aidskrankheiten beschriebene Matzahkette „Untitled“ (1992) bezieht Stellung gegen den Protest von chassidischen Juden, daß Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft an einer Schwulen- und Lesbendemonstration teilnehmen. Rhonda Liebermann, Hannah Wilke und Beverly Naidus versuchen schließlich aus einem feministischen Blickwinkel die Probleme mit der Assimilation am Beispiel des standardisiert blonden „amerikanischen“ Weiblichkeitsideals darzulegen – von der jewish princess zur Barbiepuppe?

Die Darstellung des Holocaust ist ein Thema neben vielen anderen und – was einige BetrachterInnen befremden mag – ebenfalls stark von Popkultur eingefärbt. Beispielsweise setzt sich Art Spiegelmans Comic „Maus: A Survivor's Tale“ (1976–1986) vor allem mit den Kommunikationsproblemen zwischen der ersten und zweiten Generation im Konflikt eines Überlebenden des Holocaust mit seinem stark amerikanisierten Sohn auseinander. Rona Pondicks kleine, mit Zahnreihen versetzte und aufeinandergehäufte, pinkfarbene Bälle „Little Bathers“ (1990/91) beziehen sich auf die Vernichtungskammern in den Konzentrationslagern und schockieren gerade mit dem Nebeneinander von Komik und Tragik.

Im Verlauf einer im Rahmen von „Too Jewish?“ stattfindenden Podiumsdiskussion über „jüdische Ästhetik“ wurde jedoch klar, daß ausgerechnet die spielerischen Elemente bei vielen Besuchern für Verwirrung, Mißbilligung und vor allem mangelnde Identifikation sorgen. Weitere Kritikpunkte beziehen sich auf die fehlende Integration außerhalb Amerikas lebender jüdischer KünstlerInnen in das Ausstellungskonzept sowie eine grundlegende Skepsis gegenüber einer essentialistisch „jüdischen“ Kunst. Andererseits sind die unterschiedlichen Reaktionen ein Zeichen dafür, daß die Ausstellung ihr Publikum durchaus dazu ermutigt hat, miteinander ins Gespräch zu kommen. Jutta Schamp

Bis 29.6. im Baltimore Museum, Baltimore