: Jugend leitet Bahnhof
■ Beim Modellversuch im hessischen Hünfeld halten sich die Beamten raus
Hünfeld (taz) – Die mit viel Blech bewaffnete Jugendkapelle der Deutschen Bahn AG aus Frankfurt am Main bließ den rund sechzig Auszubildenden der Deutschen Bahn AG in Hünfeld im hessischen Landkreis Fulda gestern leicht schräg den Marsch. Und der designierte neue Chef der Deutschen Bahn AG, Johannes Ludewig, war nicht – wie Spötter in Hünfeld mit Verweis auf die schlechten Bahnverbindungen in die Provinzen schon unkten – in einem Fahrzeug aus Untertürkheim angereist, sondern tatsächlich mit der Bahn: mit dem ICE nach Fulda und dann mit der Bimmelbahn nach Hünfeld.
Großer Bahnhof also in Hünfeld für die neue Juniorfirma der Deutschen Bahn AG. Denn die angehenden „Kaufleute im Eisen- und Straßenbahnverkehr“ der DB AG haben gestern den Bahnhof in eigener Regie komplett übernommen – mit einem eigenen, noch geheimgehaltenen Budget. Ihre Geschäftsführerin ist die 17jährige Kerstin Ludwig, die „ihren“ Bahnhof schon fest im Griff hat. Die „volle unternehmerische Veranwortung“ für den kleinen Bahnhof hatte ihr und ihrem Stellvertreter, Christian Dietrich (16), Vorstandschef Ludewig zuvor zugeschustert: „Sie unterliegen keiner direkten Kontrolle mehr; der Ausbilder ist nur noch zeitweise präsent.“
Eine „echte Innovation“ im Rahmen der inneren Bahnreform, die ohnehin eine „Kulturrevolution“ sei, nannte das Ludewig. Bis zum Jahresende will die DB AG bundesweit knapp fünfzig Juniorfirmen aus dem Boden stampfen, um das kreative Potential der zur Zeit 17.000 Auszubildenden auf dem Weg zur „Bahn des 21. Jahrhunderts“ besser nutzen zu können. Denn die Youngsters, wußte Ludewig zu berichten, entwicklten aufgrund der Verantwortung und der direkt erlebbaren Erfolge neue Aktivitäten, „die ungewöhnlich sind und die man der Bahn eigentlich nicht zugetraut hätte“.
In Hünfeld jedenfalls wollen sie den bis dato nur mit einem Fahrkartenautomaten bestückten, fast schon vergessenen Bahnhof wieder zu einem Dienstleistungszentrum und zu einem „Treffpunkt“ für die BürgerInnen der Stadt avancieren lassen. Eine schmucke Schalterhalle haben sie ihm schon verpaßt, die Innenräume und die Fassaden wurden gestrichen und die Stadt hat die sanitären Anlagen grunderneuert. Eine Park-and-Ride-Anlage wurde in Abstimmung mit Stadt und Land errichtet und ein Bus-Port vor dem Bahnhof gebaut. „Es macht richtig Spaß, hier eigene Ideen verwirklichen zu können“, sagt Azubi Carsten Conrad, der auf Wunsch die Fahrkarten mit dem Fahrrad zustellt. Und er ist sicher, daß „das Management“ in Hünfeld alles im Griff haben werde: „Bei den schlappen 49 Zügen, die hier werktags an den Bahnsteig rollen“. Klaus-Peter Klingelschmitt
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