Harald, ich drück' dich!

Wie lange hat Fred Kogel auf diesen Tag warten müssen! Wie oft hat ihn der bollerige RTL-Boß Helmut Thoma als Nullnummer bezeichnet, ganz zu schweigen von den Anfeindungen im eigenen Haus. Immer wieder forderte Springer-Chef und Sat.1-Gesellschafter Jürgen Richter seinen Rausschmiß, weil er ihn für unfähig hält, den immer noch defizitären Sender in die schwarzen Zahlen zu führen. Und nun dreht er ihnen allen eine lange Nase, stellt sich einfach aufs Podium und verkündet sein neuestes Medien-Mantra: „Wir sind Kult.“

Womit Kogel nicht etwa die neue – womöglich extra mißlungene – Krankenhaus-Soap „Geliebte Schwestern“ meint, sondern den guten alten Ex-Kabarettisten und „Capitol“-Hausherren Harald Schmidt. Dessen Erfolg läßt sich nämlich nicht mehr nur an der Fieberkurve der Political-Correctness-Debatte ablesen, sondern mittlerweile auch an hübschen, bunten Tortendiagrammen, von denen Kogel auf dem nordrhein-westfälischen Medienforum gleich einen ganzen Stapel auf den Projektor legt. Demnach hat jede Sendung zwischen 900.000 und 1,5 Millionen Zuschauer – die Ausbuchung der Werbeinseln liegt bei redkordverdächtigen 85 Prozent. Der typische Harald-Schmidt-Zuschauer ist jung (nämlich zwischen 20 und 29 Jahren), männlich, besser gebildet als das Gros der Sat.1-Zuschauer und freut sich über abgeschmackte Gäste. Heute sind das „Mega-Macho“ Klaus Löwitsch und „Comedy- Star“ Piet Klocke. Mit einem Wort: Der Schmidt-Show- Fan entspringt direkt den Wunschträumen der Werbekunden, die sich im Restprogramm von Sat.1 eher mäßig bedient fühlen. Weswegen Kogels Elogen auf den Nighttalker zwangsläufig zu einem Armutszeugnis der restlichen Primetime werden.

„Ohne Harald Schmidt wäre Sat.1 nicht so lecker“, sagt der Sat.1-Chef, denn dort würden die Werbekunden eine Zielgruppe vorfinden, die sie woanders vergeblich suchten. Am vergeblichsten wohl bei Sat.1.

Doch das sagt Kogel natürlich nicht, sondern ergeht sich – einmal in Stimmung – in einem kleinen Rückblick auf mittlerweile fast anderthalb Jahre Late-Night (Erstsendung am 5. 12. 1996), der „Königsdisziplin der Unterhaltung“. Das müsse nun auch die kritische Presse zugeben. Genüßlich zitiert Kogel den Bunte-Chefreporter Paul Sahner, der sich noch vor einem Jahr einen „ARD-Harald“ gewünscht habe, und dessen Illustrierte die Sendung mittlerweile ganz oben in ihrer In-Liste führt. Auch so eine zweifelhafte Ehrung kann nach Monaten der Kritik Balsam sein.

Endgültig geadelt sieht Kogel sein Late-Night-Format durch die Zeit. Dort wurde Harald Schmidt in einem Grundsatzartikel zum Thema Comedy im Fernsehen als „intellektueller Herrscher über das Fernsehen des Unsinns“ bezeichnet. Daß Schmidts Polenwitze einmal soviel Anerkennung erhalten, hätte wohl selbst bei Sat.1 niemand geglaubt. Harald, ich drück' dich! Oliver Gehrs

Foto: Andreas Schoelzel