Kunstquartier Venedig
: Signore Amore...

■ ...und Stuart Davis im Guggenheim

Das Paar auf der hinteren Sitzbank stammt aus München. Die beiden haben vor ein paar Stunden geheiratet, jetzt sind sie auf Hochzeitsreise nach Venedig – sie im perlmuttfarbenen Seidenkostüm und er im Nadelstreifenanzug mit Raver-Sonnenbrille. Verliebt summen sie vor sich hin, staunen über Hortensien, die auf der Insel Morano blühen, an der das Boot vorbeischippert, und grinsen das Wasser an. Bald sind wir am Markusplatz und dann endlich im Hotel, flüstert sie und knabbert an seinem Ohr, während man still seufzend die Holzpfosten zählt, zwischen denen alle Fährschiffe über den Canale Grande cruisen müssen wie an einer langen Leine. Bis zum Ziel sind es noch 256 Poller.

Als Peggy Guggenheim 1949 nach Venedig kam, hatte sie zwei Ehen und eine Affäre mit Max Ernst hinter sich. Sie zog in einen Palazzo aus dem 18. Jahrhundert, in dem vorher Douglas Fairbanks jr. und diverse Alliiertengeneräle residiert hatten. Bis zu ihrem Tod 1980 lebte sie, deren Familie den Kunstbetrieb fest im Griff hielt, eher zurückgezogen in der Villa. Seitdem beherbergt ihre Foundation Werke, die vermutlich auch Christos Joachimides ganz gerne für seine Epoche-Show ausgeliehen hätte: De Chiricos „Nostalgia of the poet“ etwa, eine Reihe Mondrians oder Jackson Pollocks „Alchemy“ von 1947.

Zeitgleich mit der Biennale stellt die Sammlung den Maler Stuart Davis aus, der in den vierziger Jahren zu den zehn wichtigsten amerikanischen Künstlern gerechnet wurde und heute weitgehend vergessen ist. Dabei stehen seine Arbeiten für den Übergang von europäischer Moderne zur zeitgenössischen Kunst der USA. Davis wurde in Philadelphia geboren und entschied sich früh für Malerei. Als er 1913 fünf Zeichnungen bei der Armory Show zeigt, ist er gerade 20 Jahre alt. Zwar wirkt der Kohlenstaub-Realismus von der Eastcoast ein wenig plump neben Bildern von Matisse, Gauguin und Van Gogh. Doch Davis lernt schnell – er kopiert einfach die Impressionisten. Plötzlich geht die Sonne in gelben Schlieren über Pennsylvania auf, und für sein Selbstbildnis trägt er statt des französischen Strohhuts einen Tropenhelm aus Chinatown.

Vier Jahre später begegnet Davis dem Kubismus. Begeistert nimmt er nicht nur Schnapsgläser, sondern auch Glühbirnen und zerlegt sie in ihre Einzelteile. Damit verdient er genug Geld, um nach Paris zu reisen und zu malen. Sein „Place de Vosges“ sieht zwar mehr nach rosa Zuckerguß aus, aber zurück in New York verfeinert er den Kubismus so konsequent, daß bloß noch Zeichen übrigbleiben: Motel-Schilder, Odol-Werbung, ein Päckchen „Lucky Strike“. Davis wird zum Vorbild der Pop-art-Künstler Amerikas, schon in den dreißiger Jahren überträgt er alles auf die Leinwand, was der Alltag hergibt. Nebenbei avanciert er zum Vorsitzenden des Artists Congress, gestaltet 1939 für die Weltausstellung ein Wandbild zur „History of Communication“, und 1952 vertritt er die USA in Venedig auf der XXVI. Biennale.

Seine Biographie liest sich wie eine Emanzipationsgeschichte, bei der die USA von Europa lernen und trotzdem stets eigene Bilder hervorbringen: Das Sonnenlicht wird zum Spiel mit der New Yorker Gasbeleuchtung, Picassos Korbstuhl-Stilleben werden gegen Zigarettenmarken ausgetauscht. Die Kulturindustrie jedenfalls triumphiert bei Davis nicht, sie möchte nur geliebt werden. Darin ergeht es ihr allerdings wie zwei älteren Amerikanerinnen, die abends in Haig's Bar betrunken mit dem Kellner schäkern, auf „Signore Amore“ anstoßen und schließlich ein dickes Trinkgeld liegenlassen. Kaum sind sie aus der Tür gewankt, klagt er, daß endlich Biennale-Gäste kommen sollen. Denn die wollen saufen und nichts anderes. Harald Fricke