■ Die Wehrpflicht im Visier der Friedensgutachter
: Die letzte Rückzugslinie

Erinnert sich noch irgend jemand an das „Fulda- Gap“, durch das sich im Angriffsfall die sowjetischen Panzerarmeen zwängen und anschließend die Bundesrepublik überrollen sollten? Die ominöse Lücke ist heute ebenso vom Erdboden verschwunden wie die diversen, früher heißdiskutierten Bedrohungsszenarien. Das hat Auswirkungen auf die Frage, wozu wir eigentlich die allgemeine Wehrpflicht brau-

chen.

Auch das soeben erschienene Gutachten der Friedensinstitute für 1997 widmet sich in der Person des Friedensforschers Dieter Lutz lustvoll diesem Thema. Dabei fällt es dem Verfasser leicht, in dem Widerspruch zu bohren, der sich zwischen den künftigen Angriffsmöglichkeiten Rußlands Richtung Westen und der offiziellen Einschätzung ergibt, nach der die Verteidigungsfähigkeit eine „lageunabhängige Konstante“ bleiben müsse. Was von seiten unserer Generäle zugunsten der Wehrpflicht ausgeführt wird, ist tatsächlich von mitleiderregender Dürftigkeit. Das Schwergewicht der Argumentation von Lutz liegt folgerichtig nicht auf dem Gebiet der Militär-, sondern der Finanzierungsstrategie. Ergebnis: Die Freiwilligenarmee lohnt sich.

Das Problem ist nur, daß die Beweisführung des Friedensforschers makroökonomisch orientiert ist, wobei die „Opportunitätskosten“, sprich entgangene Gehälter und Steuern, entscheidend zu Buche schlagen. Lutz' Rechnung betrifft die Wehrpflichtigen, aber auch, mit gravierenden ökonomischen Konsequenzen, die Zivis. Denn was hilft es beispielsweise den Krankenhäusern, wenn zwar durch die Freiwilligenarmee Gesellschaft und Staat reicher werden, aber künftig fürs Pflegepersonal Tariflöhne zu zahlen sind? Ausgleichsfonds? Lachhaft angesichts des „Reform“- Klimas. Eine soziale Dienstverpflichtung ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der freiwillige Sozialdienst aber würde eine solidarische Zuwendung voraussetzen, die den herrschenden politischen Trends diametral widerspricht.

So landen Lutz' Berechnungen in einem Dilemma: Von den Aufgaben her reicht eine zahlenmäßig stark reduzierte Freiwilligenarmee aus. Der Sicherung des äußeren Friedens wäre Genüge getan und eine reiche Friedensdividende absehbar. Aber um des lieben inneren sozialen Friedens willen bleibt es bei der allgemeinen Wehrpflicht. Wenn sie auch nach den Worten des Friedensforschers „militärisch überflüssig, verfassungsrechtlich bedenklich und finanziell belastend“ ist. Christian Semler