Spielend leicht zu bedienen

Dokumente des Aufbruchs, Bilder der Beat generation: Das Schwule Museum zeigt „Reality Sandwiches“, eine Ausstellung, die den Schriftsteller Allen Ginsberg als Fotografen präsentiert  ■ Von Axel Schock

„Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom / Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt [...] mit Träumen, mit Drogen, mit Wahnvorstellungen, Alkohol / und Schwanz und endlosem Rumficken.“ Schon in den ersten Verszeilen seines Gedichts „Howl“ (Das Geheul) stecken so ziemlich alle Themen, die ihm wichtig waren und ihn zum Propheten eines neuen Amerika, zum Urvater der Beat generation machten: Null Respekt vor dem Establishment, sondern der Ruf nach Freiheit und Revolution. Neue Wege und Auswege sah und fand Ginsberg im Sex, in den Drogen, in der Musik – und im Wissen und der Erfahrung fernöstlicher Religionen. 1955 war dies noch reichlich Stoff für Skandal und öffentliche Erregung. Heute ist Ginsberg Pflichtlektüre an den Colleges, „Howl“ als Meilenstein der amerikanischen Literatur anerkannt. Und Ginsberg war zuletzt ein respektabler, renommierter Literaturprofessor.

Lange Zeit im verborgenen blieb jedoch, daß Ginsberg ein nicht weniger leidenschaftlicher Fotograf war. Das Schwule Museum zeigt nun eine von Michael Köhler besorgte Auswahl des fotografischen Schaffens des im April verstorbenen Ginsberg. Doch weder freizügig pornographischer Schweinkram oder das Drogendelirium imitierende Bildwelten sind seine Sujets, noch hat er die fotografische Illustrierung seiner Bilderfluten hektischer Impressionen und Momentaufnahmen der niedergehenden USA geliefert. Ginsberg begann – wie fast jeder einmal – mit privaten Schnappschüssen von Familienangehörigen und Freunden. Diese private Intimität haben seine Aufnahmen bis zuletzt nie verloren.

Eine gebrauchte Kodak Retina für 13 Dollar wird 1955 sein erster Fotoapparat. Die paßte in jede Brusttasche und war spielend leicht zu bedienen. Seine Motive sind seine Freunde – die Beat generation –, und seine Fotos inzwischen Dokumente des Aufbruchs und ein Stück Literaturgeschichte. William S. Burroughs hinter einer Bücherreihe verschanzt, die Haare streng nach hinten gekämmt. „He looks like Baudelaire“, schrieb Ginsberg unter seinen Abzug. Denn auch als Fotograf bleibt Ginsberg Literat. Unter jedes Foto notierte er in seiner unverkennbaren kringeligen Schrift einige Zeilen zum Motiv, zu den Umständen der Aufnahme. Sie bewahren die Aura des Unverstellten, des Dokumentarischen. Er fotografiert die Stars der Literaturszene – Herbert Huncke, Neal Cassady, Jack Kerouac, später Kathy Acker, Robert Creely oder auch den Maler Willem de Kooning. Aber er fotografierte sie nie als Berühmtheiten, setzte sie nie in Szene. Es sind stets die schnell aus der Hüfte geknipsten Momentaufnahmen. Augenblicke der Intimität und der Poesie.

Nicht zufällig war es der Fotograf Robert Frank, der die Qualität von Ginsbergs Arbeiten entdeckte und ihn 1984, nach 20jähriger Unterbrechung, dazu ermutigte, wieder mit dem Fotografieren zu beginnen, aber auch die alten Bilder auszustellen und zu publizieren. Nun kaufte sich Ginsberg eine Rolleiflex und fotografiert die alten und die neuen Freunde: Norman Mailer und William S. Burroughs, die gerade das Haus von John Steinbeck verlassen. Jewgeni Jewtuschenko beim Abendessen mit Kollegen in Moskau. Ginsbergs Lebensgefährten Peter Orlovsky vor einer Tasse Tee. Wolf Biermann klampft auf der Gitarre im Garten seines Hamburger Wohnhauses.

Der eigentümliche Charme dieser Bilder liegt wahrscheinlich darin, daß sie niemals für eine Veröffentlichung gedacht waren. Es sind die Bilder für einen ganz einfachen, arglosen Zweck: kurze Momente des Lebens, des Glücks, der Freundschaft oder der Liebe festzuhalten. Und Ginsberg spricht gar von heiligen Augenblicken – „heilig aus dem fast religiösen Gefühl, daß diese Augenblicke nie wiederkehren würden; daß unser Leben kurz ist und die Momente des Glücks flüchtig sind“.

Schwules Museum, Mehringdamm 61, Gartenhaus, Berlin-Kreuzberg. Bis 10. August, Mi.–So., 14–18 Uhr, Sa., 17 Uhr, Führung. Der Katalog zur Ausstellung ist im Verlag Nishen erschienen