Affen können nicht weinen Von Karl Wegmann

Willy ist ein bißchen schlapp – zuviel Sonne, zuviel Weizenbier gestern abend. „Erzähl doch mal wieder 'ne spannende Tiergeschichte“, fordere ich ihn auf, „so ein Schmankerl aus der Verhaltensforschung.“ Willy starrt auf die Bretter seiner Terrasse. Dann sagt er: „Affen können nicht weinen!“ „Kein Scheiß“, fragt Hermann, „warum können die nicht weinen?“ „Haare“, sagt Willy, „wegen der Haare.“ „Also, äh, ich weiß nicht...“, stottere ich herum. „Ach so“, keift Willy, „das ist dem Herrn Journalisten nicht spektakulär genug. Der Lohnschreiber wünscht etwas Sensationelles, etwas Monströses, Blutiges, etwas mit Tränen. Primaten, die nicht weinen, sind ihm zu langweilig.“ „Mir nicht“, geht Hermann dazwischen, „was ist jetzt mit den Haaren?“

„Klappe halten“, schnauzt Willy ihn an, „wir wollen doch erst einmal die geifernde Journaille bedienen. Hier kommt eine Brutalo- Story: Berlin-Neukölln, Sonnenallee auf Höhe der Hausnummer 42. Da steht ein etwa 60jähriger Mann auf dem Bürgersteig mit Aldi-Tüte und einem West Highland White an der Leine. Ihr wißt schon, das ist so ein Zierhund wie in der Cesar- Reklame im Fernsehen. Plötzlich tauchen zwei Hell's Angels auf: Bierbauch, fettige lange Haare, verfilzter Bart, Motorradstiefel, Lederjacke, darüber eine zerrissene Jeansweste. Der eine der Höllenengel trägt eine Werkzeugkiste, der andere nur eine Zigarette.

Als die beiden dem Mann mit dem Hund näher kommen, fängt die Töle an zu kläffen. Die Rocker gucken finster. Sie schlurfen vorbei. Da macht Herrchen einen großen Fehler. Er ruft den beiden hinterher: ,Nu kiek sich einer diese häßlichen Vögel an!‘ Die Rocker bremsen, schauen sich kurz an und machen eine Kehrtwendung. Sie sagen kein Wort. Der eine schnippt seine Kippe weg, baut sich vor dem Mann auf und verabreicht ihm einen gewaltigen Kinnhaken. Herrchen kippt um. Währendessen hat der andere den Werkzeugkasten abgesetzt und dem immer noch kläffenden Köter einen Tritt an den Kopf verpaßt.

Hundilein sinkt halb betäubt zu Boden und fiepst nur noch. Rocker eins hält Herrchen in Schach. Rocker zwei öffnet den Werkzeugkasten, nimmt einen Hammer und eine Handvoll langer Nägel. Dann leint er den Hund ab, haut ihm noch mal kräftig auf die Schnauze und nagelt ihn an einen Straßenbaum. Drei Nägel, einen für die linke Vorderpfote, einen für die rechte, die beiden hinteren Pfoten legt er zusammen und nagelt sie fest. Da hängt er nun und kläfft nicht mehr, sieht aus wie eine Verhöhnung des Allmächtigen. Herrchen hat davon noch gar nichts mitbekommen. In den Augen der wenigen Passanten sieht man blankes Entsetzen. Stehen bleibt keiner. Die Rocker packen zusammen und ziehen weiter.

Das war's“, sagt Willy. „Wow“, entfährt es mir, „ist die Geschichte wahr?“ „Seit wann interessiert sich die Journaille für die Wahrheit?“ höhnt Willy. „Aber was ist jetzt mit den Haaren und den Affen?“ quengelt Hermann. Willy seufzt. „Tränen bedeuten Kummer, sind auf nackter Menschenhaut besonders gut zu sehen. Bei den haarigen Affen wäre der Show-Effekt gleich null.“ „Lahme Geschichte“, sagt Hermann, und ich denke: „Wie hat der Rentner wohl den Köter wieder vom Baum gekriegt, 'ne Zange hatte der doch bestimmt nicht dabei.“