■ Mit der Abschiebung palästinensischer Flüchtlinge trägt Bonn zur Destabilisierung des Libanon und Israels bei
: Spiel mit dem Feuer

Haben Sie je den Freudentanz arabischer Männer gesehen, wenn spontane Freude in Klatschen und rhythmisches Trommeln auf jedem verfügbaren Schallkörper übergeht? Dabke, Beduinenfolklore. Ein mitreißendes Spektakel, jederzeit und überall leicht zu initiieren.

Vor Ort in Ain al-Helue, dem größten Lager für palästinensische Flüchtlinge im Libanon: Nicht ein Hauch von Freude war hier zu spüren, als am 14.11. 1988 PLO-Chef Arafat im fernen Algier im Brustton der Selbstüberzeugung die Gründung des palästinensischen Staates proklamierte. Die Fernsehübertragung wurde nicht eingeschaltet. Kein Freudentanz. Über dem Camp, wo Hunderttausende auf allerengstem Raum zusammenlebten, lag nichts als bedrücktes Schweigen.

Man ahnte eine hoffnungslose Zukunft. Arafat und die PLO- Spitze hatten sich längst an die Spitze der Intifada geschwungen, den Aufstand der Jugendlichen in den besetzten Gebieten zur nationalen Perspektive erklärt. Endlich brodelte es im israelischen Kernland. Wer war Münchhausen? Arafat ritt auf einem Stein mitten ins Feindeslager. So macht man Weltgeschichte. Ein solcher Auftritt wird belohnt: 1993 konnte Arafat das Osloer Abkommen über die Autonomieregelung unterzeichnen.

Dessen Konsequenzen für die Flüchtlinge im Libanon waren längst zu spüren. Die PLO investierte enorme Summen in die Intifada, und je mehr Geld in Gaza- Streifen und Westjordanland floß, um so weniger dringend benötigte Unterstützung erreichte die Lager im Libanon. Dort war es immer eine Frage patriotischer Moral gewesen, sich keinesfalls zu assimilieren. Nur wo Flüchtlingselend herrscht, manifestiert sich der Wille zur Heimkehr. Die libanesischen Behörden hatten höchstens palästinensischen Bankern und wichtigen Kaufleuten gestattet, hier Geschäfte zu machen. Das gemeine Volk wurde von der PLO beschäftigt, in der Selbstverwaltung der Camps; Arafat verteilte Sold an sein Befreiungsheer; aus den Fonds der sozialen Vereinigungen entschädigte man die Hinterbliebenen heldenhafter Märtyrer.

Doch was bedeuteten die halsbrecherischen Operationen palästinensischer Geheimkommandos schon gegen den Aufstand der Kinder, die sich vor laufenden TV- Kameras dem Goliath der israelischen High-Tech-Armee entgegenstellten? Mit Bravour ritt Arafat die elektronischen Medien, die Feddayin starben einsam im Olivenhain. Und während die Kinder der Intifada auf den Straßen von Gaza Dabke tanzten, als Arafat seinen Palästinenserstaat proklamierte, breitete sich in Ain al-Helue bedrücktes Schweigen aus.

Im Abkommen von Oslo war das Schicksal der Flüchtlinge nicht vergessen worden, alle beteiligten Parteien hatten das Problem „vertagt“. Viele Flüchtlinge wollen womöglich auch heute nicht in die Autonomiegebiete, haben in der weltweiten Diaspora ihr Auskommen gefunden. Die ökonomische Situation spricht ohnehin gegen ihre massenhafte Rückkehr.

Wie also gestaltet sich die Situation der Flüchtlinge nach Oslo? Sie hocken noch immer in ihren Behausungen, nicht selten im Dutzend auf wenigen Quadratmetern. Arbeiten dürfen sie außerhalb der Lager bis heute nicht, Arafats Befreiungsarmee ist aufgelöst, mehr als 70 Prozent der Leute haben keinerlei Erwerb und sind somit auf Unterstützung angewiesen. Die Euphorie internationaler Spender und Hilfsorganisationen begünstigt indessen eher den Aufbau des neuen palästinensischen Staates, Zahlungen aus Europa und den USA sollen das Abkommen von Oslo stabilisieren. An die Lagerbewohner im Libanon erinnert man sich weniger gern.

Immerhin aber gibt es die Verwandtschaft im Ausland, die ab und an hilft. Der prominente libanesische Journalist und Literat Elias Khoury erzählte beim letzten Deutschlandbesuch von seinen Beobachtungen des Dramas in Ain al-Helue: „Da hocken diese palästinensischen Flüchtlinge vor ihren Videosets und sind – was erwartet man auch – in all der Lethargie einer erlösenden Droge verfallen. Immer und immer wieder spulen sie ein und dieselbe Videokassette ab. Amateuraufnahmen: Nahansichten ihrer ehemaligen Besitztümer in den Autonomiegebieten.“ Exilanten aus dem westlichen Ausland können immerhin die alte Heimat besuchen und versorgen die Verwandtschaft in den libanesischen Camps mit Souvenirs. Eine Errungenschaft für die Opfer des Oslo-Abkommens: die virtuelle Heimat.

Doch die Verwandtschaft im Ausland, auch die im deutschen Exil, tut mehr: Von ihrem Unterhalt, sicher nur allzuoft in illegaler Schwarzarbeit erwirtschaftet, zwackt sie kleinere Summen ab. Nicht mehr als ein Notnagel, versteht sich. Aber in den Camps herrscht große Not. Dies trifft in besonderem Maß auf die Palästinenserlager im Süden des Libanon zu, denn der Wiederaufbauboom hat vorerst nur die Hauptstadt des ehemaligen Bürgerkriegslandes erreicht. – Und selbst für dieses Unternehmen geht Libanons Präsident Hariri auf internationale Betteltour. Sollte Hariri bereit sein, für einen deftigen Batzen Aufbauhilfe die Abschiebung Tausender palästinensischer Flüchtlinge aus Deutschland in Kauf zu nehmen, auch wenn dies sicher gegen die Meinung seiner Bevölkerung geht?

Warum nicht – wenn er sie denn in den Süden des Landes verbannen kann. Bislang haben weder Hariri noch die syrische Besatzungsmacht etwas gegen die Präsenz der vom Iran gesponserten Hizb'Allah getan, die hier ihre Startlöcher für den Befreiungszug des Heiligen Jerusalem eingerichtet hat. Die Schiiten des Südlibanon haben dem iranischen Fanatismus Herz und Tür geöffnet, als sie sich von der Beiruter Regierung verraten fühlten, die islamistischen Hamas-Brüder auf palästinensischer Seite werfen Arafat, der sie nur äußerst mühsam integrieren kann, Verrat vor. Einem Märtyrer dürfte es indessen herzlich egal sein, ob seine Hinterbliebenen mit iranischem oder palästinensischem Geld entschädigt werden, solange die Existenz der Familie gesichert ist.

Der Bonner Regierung dürfte das hier angedeutete Horrorszenario so fremd nicht sein. Betreibt sie tatsächlich das Projekt der Massenabschiebung von staatenlosen Palästinensern und zahlt Aufbauhilfen für Beirut, ohne sich gleichzeitig wenigstens für einen menschenwürdigen Status der Palästinenser in diesem Land einzusetzen, so steht Deutschland mit einer Fackel an der Lunte. Und es könnte gefährlich brennen. Im Libanon und in Israel. Petra Groll