Ihres Bruders Hüterin

■ Die Hamburger Schriftstellerin Geno Hartlaub wird morgen achtzig

Das Leben von Geno Hartlaub ist bis heute auf das engste mit dem ihres Bruders Felix verwoben. Wenn sie über ihn biografisch schreibt: „Die Museumstätigkeit des Vaters bringt starke künstlerische Bildungserlebnisse, hinzu kommt eine frühe Beschäftigung mit zahlreichen Werken der Weltliteratur,“ so mag dies genauso für sie selbst gelten. Die Erzählung Der Mond hat Durst (1963) handelt schließlich ausdrücklich von einer symbiotischen Bruder-Schwester-Beziehung: „Ich schwieg, ich begriff. Es geschah.“ Die Rede ist von einem Tabubruch, dem geschwisterlichen Inzest. In Rückblenden wird von der Verstörung der Schwester berichtet, die nach dem Unfalltod des Bruders allein zurückbleibt: „Wir sind ausgesetzt, verurteilt zu lebenslänglicher Einzelhaft.“

Geno(veva) Hartlaub, am 7. Juni 1915 in Mannheim geboren, durfte nicht studieren, weil ihr Vater, Kunsthistoriker und Leiter der Mannheimer Kunsthalle, von den Nationalsozialisten entlassen worden war. Im Kriege zwangsverpflichtet und danach in Kriegsgefangenschaft gekommen, ging sie zunächst nach Heidelberg und Frankfurt. 1955 edierte sie, damals Lektorin beim S. Fischer Verlag, das Werk ihres verschollenen Bruders. Felix war als historischer Sachbearbeiter der Abteilung „Kriegstagebuch“ im Führerhauptquartier tätig gewesen. Aus der „banalen Stille im Herzen des Taifuns“ beschrieb er präzise, fatalistisch und sarkastisch die geistige Leere und Langeweile im Innern des NS-Machtzentrums.

Aus der gemeinsamen Kinderzeit erinnerte Geno Hartlaub die Vorstellung von der „Tarnkappe“, die unsichtbar macht und gleichzeitig das unbestechliche Beobachten der Ereignisse ermöglicht. Mit dieser Tarnkappen-Metapher hat sie das Schreiben des Bruders, aber auch den Preis einer solchen Haltung benannt – Einsamkeit und Isolation.

Anfang der sechziger Jahre siedelte Geno Hartlaub dann nach Hamburg über. Als langjährige Redakteurin des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts und geschätzte Begutachterin von Manuskripten hat sie Teil am literarischen Leben dieser Stadt.

Ihre Romane, so der 1961 erschienene Gefangene der Nacht, handeln von der unauslöschlichen Kriegserfahrung: der jüdische Junge, dessen Familie abtransportiert wurde, der Frontsoldat am letzten Abend seines Heimaturlaubs, die unauffällig tätigen Mitglieder einer Widerstandsgruppe – diese vielen Facetten einer einzigen Bombennacht ergeben ein düsteres Bild des Krieges und das Soziogramm einer Stadt.

Der Mann, der nicht nach Hause wollte heißt der jüngste Roman Geno Hartlaubs. Hauptfigur ist der Heidelberger Student Anton Winter. Die Nachwirkungen der Fronterlebnisse lassen Anton das Leben in der „stehengebliebenen Stadt“ unwirklich erscheinen. Er unterzieht sich einem Selbstversuch – er verweigert die Nahrung. Die Schärfe seiner kritischen Selbst- und Weltwahrnehmung gemahnt an die „Röntgentechnik“ Felix Hartlaubs, der die Schwester hier einmal mehr die Referenz erweist.

Geno Hartlaub hat ihr langes tätiges Leben mit dem Schreiben von Literatur und in der Beschäftigung mit Literatur zugebracht: „Wir müssen die Welt schaffen, denn ohne uns gibt es sie nicht, hätte mein Bruder gesagt.“

Frauke Hamann

Geno Hartlaub ließt am Mittwoch, 20 Uhr, im Literaturhaus aus ihren Werken