Kunstquartier Venedig
: Schlachthof der Europa

■ Mann liebt Schwein: Kleine Skandale auf der Biennale

Die Biennale nimmt alle zwei Jahre ein paar Häuserblöcke mehr in Beschlag: Kroatien ist in einer alten Schule im Gewühl von San Marco untergebracht, die baltischen Staaten sind über diverse Patrizierhäuser verteilt, und zur Ausstellung der Armenier auf der Insel San Lazzaro gelangt man nur mit einem Boot, von dem niemand recht weiß, wo es eigentlich ablegt.

Längst sind die Gärten von Venedig für den Ansturm der Länder, Nationen und Republiken zu klein geworden. Nebenbei hat sich entlang der Promenade eine Open-air-Galerie für Kunstnutznießer ausgebildet. Schiffe hängen voll konstruktivistischer Gebinde, eine Plattform im Wasser wurde für selbstgeschweißte Bauern und Eselskarren umgestaltet. Die Firma „illy“ hat Vitrinen aufgestellt, in denen sie feines Porzellan zeigt, das von namhaften Künstlern wie James Rosenquist, Nam June Paik oder Sandro Chia bemalt wurde. Alles sieht ungeheuer nach Kleinkunst und Kulturhauptstadtprogramm aus. Während Kritiker und Künstler drinnen mit Kuratoren über die neuesten Entwicklungen der Medientheorie debattieren, freuen sich draußen die Touristen über eine Fülle von Bastelarbeiten. Das ist demokratisch und nur zu gerecht.

Die führende Tageszeitung Venedigs ist dagegen total von Marina Abramović begeistert. Groß wurde ein Bild ihrer Performance auf die Titelseite genommen, während man über den italienischen Pavillonbeitrag erst weiter hinten im Kulturteil berichtete. Tatsächlich ist Abramović' Erscheinung ziemlich imposant: Die 1946 in Belgrad geborene Künstlerin hat etwas von Medea und Medusa.

Für Venedig verwandelt sie ein Kellergemäuer zur beckettschen Bühne. Dort sitzt sie in einem weißen Kittel auf einem gewaltigen Berg frischer Ochsenknochen und wäscht regungslos die Reste von Blut in eine Schüssel. Mal singt sie, mal hält sie Monologe, mal erstarrt sie zur mythischen Figur – es riecht nach Verwesung und Abdeckerei im Schlachthaus der Europa. Dabei ist Abramović geschickt genug, um das Pathos der Bedeutsamkeit wieder zu brechen: Hinter dem ausgebreiteten Tod läuft ein folkloristisches Tanzvideo.

Während Abramović ihre expressiven Effekte noch recht behutsam einsetzt, spekuliert der Russe Oleg Kulik in der Gruppenausstellung „Europarte“ allein auf den Skandal. Er hat ihn bekommen, auch seine Foto- und Videoarbeiten waren für einen Tag auf Seite eins. So ist das eben mit Tierpornographie.

Kuliks „Deep into Russia“ zeigt, was man von älteren erotischen Märchen aus Rußland kennt: Vögeln auf dem Bauernhof. Dabei sind dem 36jährigen Hardcore-Performer – egal ob passiv oder aktiv – alle Tierarten von Huhn und Schwein bis zum ausgewachsenen Hengst willkommen, solange es nur dem Übergang vom Mensch zur Bestie dient. Zwischendurch sieht man dokumentarisches Material, korngelbe Wiesen, Trecker wie Pflüge, und seinen mit Kratzspuren übersäten Körper. Angeblich versucht Kulik mit seiner Feldforschung in Sachen Sodomie auf den Verlust der Identität nach dem Kollaps der Sowjetunion mit einem „Theater der Grausamkeit“ zu reagieren, wie Wiktor Misiano vom Moskauer Institut für zeitgenössische Kunst schreibt. Empört haben sich die Italiener jedoch über den Hinweis, daß die Ausstellung nicht für Jugendliche zugänglich ist. Er wurde am Ende der Galerie aufgehängt, doch bis dahin haben die Kinder alle Fotos schon gesehen. Harald Fricke