Ohne jede Bratwurst in der Hose

Zum 30jährigen Bühnenjubiläum ließ sich der erotisch eindrucksvolle Entertainer Engelbert Humperdinck auf einem Hamburger Ausflugsdampfer von ausgewählten Fanclubs feiern  ■ Aus dem erlesenen Kreis Claudia Thomsen

Ganz gemächlich rollt der glänzende schwarze Minibus die Brücke hinab. Sein Ziel: der Elbanleger am Hamburger Fischmarkt. Mit einer effektvollen halben Drehung kommt der Wagen unmittelbar vor der fest vertäuten „Warsteiner Queen“ zum Stehen. An Bord sind 92 Passagiere. Sie starren in die tiefdunkel getönten Scheiben des Wagens, wo sie nichts außer ihrem Spiegelbild ausmachen können. Da wird die Wagentür aufgestoßen, und er hüpft ins Sonnenlicht: Engelbert Humperdinck. Ein Auftritt mit einem Hauch von Las Vegas.

Die Möwen auf dem herumdümpelnden Ponton ziehen umgehend ihre Konsequenzen: Sie fliegen davon. Die Mitglieder von Engelberts Fanclubs „Love This Is My Song“ sehen ihr Startsignal gekommen: Sie erheben sich geschlossen und grüßen klatschend. Dieser Spontanauftritt war ganz kurz vorher noch schnell abgesprochen worden.

Der Schnulzier feiert sein 30jähriges Bühnenjubiläum. Und hatte verfügt, daß die Club-Party zwar auf einem Schiff, aber nicht auf hoher See stattfinden würde, die „Queen“ schien dem „King of Romance“ dabei als idealer Ort. Intim sollte es zugehen. Vor allem wollte sich „Enge“ (sprich: Ängsch) seinen Getreuen an diesem großen Tag ganz ohne Medienbelästigung stellen. Was fast gelungen wäre.

Arnold George Dorsey, dem Erstmanager Gordon Mills einst das Pseudonym Engelbert Humperdinck verpaßte, schreitet gemessenen Schrittes an Bord. Der Künstlername hat nichts mit dem gleichnamigen deutschen „Hänsel und Gretel“-Komponisten und Assistenten Richard Wagners zu tun. Sondern natürlich mit Marktstrategie: In drei Jahrzehnten haben die Engelbertisten dieser Erde 130 Millionen Tonträger des Unvergeßlichen erstanden und ihm damit ein Vermögen von rund 250 Millionen Mark beschert. Der Erfolg des Troubadours, den Außenstehende sehr böswillig für einen hemmungslosen Schmachthobel halten, kommt jedoch nicht nur von seinem samtigen Timbre und dem nachgemachten Elvis-Appeal. Geschätzt wird Enge von seinen Anhängern auch, weil er von ganz unten zu kommen vorgibt. Neun Geschwister habe der beauöse Britenbarde, vermeldet die vom Club erstellte Biographie, womit er, heißt es, offenkundig früh zu teilen gelernt habe. Als Teenager habe er „auf dem Gesicht zu schlafen gepflegt, weil er hoffte, damit seine vorstehenden Zähne zurückdrücken zu können“. Wenn das stimmt, weiß der Mann tatsächlich ein Lied von echter Verzweiflung zu singen. [Wenn der mein Verzweiflungslied darüber hören könnte, daß ich das tippen muß... Vielleicht sind Scanner ja doch keine so schlechte Erfindung. d.sin]

Diese frühen schönheitsbildenden Maßnahmen haben sich jedenfalls ausgezahlt. Der 61jährige Träger des schwarzen Karate-Gürtels beeindruckt durch ein ebenmäßiges Gebiß, volles Dunkelhaar und einen gleichmäßig gebräunten Teint. Und: The Hump hat im Gegensatz zu vielen seiner Groupies den Kampf um eine gute Figur noch nicht verloren.

Fans wie Arnolde Ohms schätzen sein „natürliches Wesen“. Die Gründerin der Fangemeinde gießt im roséfarbenen Club-Heft die Gefühle der Bewunderer in eine schriftliche Form: „Der liebe Gott hatte einen besonders guten Tag, als er den kleinen Arnold George Dorsey auf die Welt schickte, ihm die wundervolle Stimme gab und ein liebevolles warmes Herz und ihn damit zu Engelbert werden ließ! Engelbert, den wir alle verehren und lieben...“

Der Einsatz von Arnolde Ohms, die ihr Alter keck mit „über 70“ beziffert, erschöpft sich nicht in schönen Worten. Die Rentnerin aus Hamburg-Langenhorn pflegt zusammen mit Gleichgesinnten die Garderoben vor seinen Auftritten angemessen zu dekorieren. Wie auch im Hamburger Congress-Centrum am Abend vor der Bootsparty: mit Blumen, selbstgeklebten Collagen, einer Pulle edlen Cognacs und einer Spur Pino Silvestre, seinem Lieblingsduft. „Wir wollen eben, daß er bald wiederkommt“, begründet die Frau mit dem blonden Pagenschnitt ihr unermüdliches Engagement.

Für seine fast ausschließlich weiblichen Fans ist Engelbert der fleischgewordene locus amoenus, der leibhaftige liebliche Ort, ein Auffangbecken ungestillter Sehnsüchte. Wie Schwämme saugen Tausende wohlfrisierte Frauen reiferer Jahrgänge seine Gesangsdarbietungen in sich auf. „A Better Man“: Kann damit der eigene Gatte gemeint sein? Nein, allein schon, weil die Angetrauten daheim niemals ein Hemd tragen würden wie der Enge, das aussieht, ja, als hätte er gar keins an? [Die Frage müßte eigentlich lauten: Warum begnügen sich all diese Damen mit der zweiten Wahl? d.sin]

Schon nach dem dritten Song am Abend zuvor war der Softsouler reichlich beschenkt worden. Die Gebenden wissen, daß Engelbert die zahllosen Stofftiere und Puppen nicht alle mit in sein Landgut nach Leicester nehmen kann. Das macht nichts, denn „was zählt, ist der Moment des Überreichens“, weiß Ohms. Da werden ihm auch seine recht gewöhnlichen Ausfälle gegen die Konkurrenz im Schlager-Revier („Tom Jones hat eine Bratwurst in der Hose“) nicht übelgenommen. Auch daß der seit 34 Jahren verheiratete Barde von sich selbst behauptet, ein „Sexmaniac“ zu sein, und gar als „liebestoller Gentleman“ (Superillu) gilt, der „mit Vaterschaftsklagen sein Schlafzimmer tapezieren“ könne, scheint die Idee vom übergroßen Herzen des Stars nur zu bestätigen.

Träumen etwa auch all diese gestandenen Frauen davon, den Göttlichen in Versuchung zu führen? „Nein“, glaubt Arnolde Ohms, die vorgibt, den Interpreten „rein platonisch“ zu lieben. Andere Anhängerinnen hingegen gestehen, nicht nur auf den Honig in der Stimme des Charmeurs zu achten. „Vor Bielefeld“, sagt Crista Brosius aus Altrip bei Ludwigshafen, „war er erotischer.“ Mit Bielefeld ist jenes Konzert vor drei Jahren gemeint, als Engelbert erstmals ohne seinen legendären schwarzen Oberlippenbart auftrat.

Auch auf der Elbe gibt sich der Angebetete eher seriös. Der Vater von vier Kindern (ehelich) erhebt sich im Laufe seiner zweistündigen Audienz kein einziges Mal zu Besuchen von Tisch zu Tisch, wie es bei ähnlichen Anlässen Usus ist. Ein Lied mag die vorgebliche „Stimme des Jahrhunderts“ (The Times) auch nicht singen. Langsam breitet sich unter den Damen in der dritten und vierten Reihe tatsächlich unterschwelliges Murren aus. Schließlich haben sie stundenlange Anreisen und den Preis von 100 Mark (Verköstigung exklusive) nicht akzeptiert, um auf sichtbehinderten Plätzen schmählich ignoriert zu werden. An den Tischen in der Backbordhälfte gestehen zwei Mannheimerinnen ein erschreckendes Maß an Treulosigkeit. Sie erzählen, daß Pierre Brice „eigentlich unser Star ist“ und daß sie den Winnetou-Darsteller ohnehin viel länger als Enge kennen, „nämlich schon über 25 Jahre“. Der Star lächelt, einmal, zweimal. Und saugt, wie es scheinen will, ziemlich gelangweilt, an seiner bratwurstdicken Zigarre.

Was haben die Fans an Bord von dem Treffen mit dem Elb-Elvis erwartet? Eine Verstärkung ihrer tiefen Gefühle? Das ungeschminkte Erlebnis der Nähe? Oder ganz einfach eine Geste, ein legendäres „meine Liabling“, mit dem der Hero einzelne für einen Moment aus der Masse herauszuheben in der Lage ist? Einige beginnen, die von der angeheuerten „Travellin Band“ gedudelten Engelbert-Hits mitzusingen.

Selbst die sechs männlichen Groupies unter den wackeren 92 bekennen sich offen zu ihrem Kuschelbarden. Sie schätzen ihn — „selbstverständlich“ — ohne Bezugnahme auf dessen erotischen Appeal, weil er eben, sagt einer, ein „toller Entertainer mit komödiantischem Talent“ sei.

Dann dürfen die Damen auch an Bord ihre Geschenke überreichen: Der Jubilar empfängt handbestickte Deckchen, Parfüm, Pfälzer Wein, Küstennebel. Viel Hochprozentiges für einen, der seine Alkoholprobleme angeblich seit vollen zehn Monaten mit konsequenter Abstinenz bekämpft. Der Maestro revanchiert sich für die Feinsinnigkeit seiner Fans mit der eigenhändigen Verlosung von signierten Postern und Briefbogensätzen im Egelbert-Design.

Arnolde Ohms, die als rüstige Stage-Hopperin wiederholt bei Konzertwochen in Las Vegas und Atlantic City weilte, geht heute leer aus. Doch sie weiß sich zu erinnern an Engelberts Auftritt in Gottschalks „Hausparty“. Da hatte sich ihr samtäugiges Idol mehrere Stunden Zeit für ein exklusives Beisammensein mit ihr genommen. „Wunderschön“ war das, obwohl (oder weil) ihr Herz „unentwegt wie ein Preßlufthammer“ geschlagen habe.

Die Combo stimmt „There Goes My Everything“ an. Für Enge das Aufbruchsignal. Händedrückend und wangenküssend verabschiedet er sich langsam, aber entschlossen von seinen aufspalierten Getreuen. Nach zwei Stunden und ein paar Winks als exklusive Zugabe verschwindet der Sagenhafte wieder hinter den schwarzen Scheiben seines Gefährts.

Es pluggert sofort davon, ohne jede schmissige Drehung. Einer Hafenrundfahrt steht jetzt nichts im Wege. Leinen los.