Wohlplazierte Kicks unter Milchglas

Jäger des verlorenen HipHop: Der Wu-Tang Clan kommt auf Tour und hält sich mit asiatischen Kampftechniken zurück. Auch die Botschaft will nicht aus dem Staub. Eine normale Platte einer unmöglichen Lebensgemeinschaft  ■ Von Annette Weber

Auch das ist Wu-Tang: Schimpftiraden auf die unechten Rapper, die im letzten Jahr Rap zu süßlichem R'n'B gemacht haben. So zu hören im Intro der zweiten Platte „Wu-Tang Forever“. Und was ist mit „I'll Be There For You“, dem R'n'B-Schmachter, den Wu- Tangs Method Man mit der neuen Black-Music-Diva Mary J. Blige aufgenommen hat?!

Na gut, das war auch schon 1995, und der Wu-Tang Clan war schon immer eine Ansammlung von Widersprüchen. Immerhin: Die Sache mit der Tour scheint dieses Mal zu klappen, die neun Rapper aus dem New Yorker Stadtteil Staten Island sollen schon in Europa sein. Und „Wu-Tang Forever“, die seit langem angekündigte zweite Platte der Bewohner der 36 Kammern des Shaolin, ist dieser Tage doch noch erschienen (Loud/RCA/BMG). Mit Shaolin und asiatischen Kampftechniken hat sich Wu-Tang dieses Mal allerdings etwas zurückgehalten – würde ihnen auch so wohl niemand mehr abnehmen, das mit dem auf sich selbst und auf spirituelle Werte Konzentriertsein.

Schon die Verpackung des Albums ist anders als 93, bei der ersten CD „36 Chambers“. Waren die Personen damals Platzhalter für verschiedene Rap- und Rhyme-Stile, geht es jetzt um Pop- Personalities und internationales Stardom. Die neun Wu-Tanger sind mittlerweile namentlich bekannt: Ol' Dirty Bastard, Method Man, Raekwon, Ghostface Killa — fast alle haben die letzten Jahre Solo-Alben herausgebracht. Diese grundlegende, neuartige Illness, wie sie „36 Chambers“ hatte, hat „Wu-Tang Forever“ nicht mehr, den Super-Ill-Pokal haben sich teils die eigenen Leute — Ol' Dirty Bastard mit „Return To The 36 Chambers, Dirty Version“ — oder auch Busta Rhymes geholt.

„Forever“ ist eine spannende Platte, die allerdings mehr den internen Wu-Tang-Wahn spiegelt als musikalisch State of the art zu sein. Erstaunlich ist ja, daß es den Clan immer noch gibt. Schon am Endverbrauch von fünf verschiedenen Studios ist die zentrifugale Fragmentierungskraft von Wu-Tang ablesbar. Diese neun Freunde, deren öffentliches Image immer nur häppchenweise promotet wird, kommen ja nicht gerade als dynamisch-chaotisches Kreativteam rüber. Meist hängen sie irgendwo lustlos ab, gucken Pornos oder spielen Schach. Method Man trinkt St. Ides oder kifft, und wo andere Rap-Gruppierungen bei den VIP- Fotos in Spezialmagazinen wie Source und Vibe versuchen, originell zu sein, bad oder glamourös auszusehen, gibt es vom Clan nur eine Ansammlung uninteressanter Aufnahmen, die sie in einem Fast- Food-Restaurant über Heinz-Ketchup klebend zeigt.

Wahrscheinlich doch mehr als ein Image: Von ihrer Managerin Eva Ries (siehe taz vom 21. 3. 97) bis hin zum Spiegel haben alle Geschichten zu erzählen: Wie wild und unberechenbar die Chamber ist, daß selten oder nie die ganze Gruppe zusammen auftaucht, um Konzerte zu machen oder Fotos machen zu lassen. Alle Members beteuern immer wieder, daß der Mann, der sich RZA nennt, der Bindestoff ist, masterplanartig alles zusammenhält, die Sache mit den Plattenfirmen (immer mehrere) regelt, Einzelmitglieder unabhängig nach oben puscht. Aber so einfach kann das ja nicht sein.

Kaum eine Crew, die oberflächlich so superunmotiviert und wenig ehrgeizig erscheint, und dann doch ein Doppelalbum mit 29 Stücken aufnimmt, auf dem es mehr gibt als bloß pumpende Rhythmen. „Wu- Tang Forever“ ähnelt mehr einer europäisch-protestantischen Messe denn einem barocken Katholenexzeß. „A Better Tomorrow“, ein Stück für die Brüder im Knast, drückt das Grundgefühl am besten aus: „You can't party ya life away/ Smoke ya life away/ Fuck ya life away/ Dream ya life away/ Scheme ya life away/ Cause ya seeds will grow up the same way.“ So Raekwon im Refrain, und der gesamte Clan unterstützt ihn.

Auch in „Wu-Revolution“, in dem die Geschichte der sogenannten „Five-Percenter“ (einer Art afroamerikanischer Geheimloge: Nur fünf Prozent gehören zu den Wissenden) erklärt wird, ist von „don't drink don't smoke“ die Rede. Was angesichts des realen Lebens der Einzelkammerbewohner ziemlich absurd anmutet.

Ganze Albumstrecken scheinen unter Milchglas zu stecken. Die Musik, die Botschaft will sich nicht so ganz aus dem Staub erheben. Es ist wie bei fernöstlichen Kampffilmen, wo man sich auch durch langatmige Trainings-, Weisheit-, Sammlungs- und Meditationsstrecken durcharbeiten muß, um die geilen, gezielt gesetzten, wachen Kicks zu kriegen. Und dann kommt doch wieder die Wirrheit hervor, etwa bei „Black Shampoo“, wo eine klare Stimme von zitterigem Akkordeon, Spinett (!) und verhaltenen Karibikrhythmen unterlegt ist. Nichts schreit: „Hier sind wir!“ In Stücken wie „Second Coming“ scheint es eher um eine schwere oder unmögliche Rückkehr zu gehen.

Fazit: Eine ziemlich normale Platte, für eine eigentlich unmögliche Lebensgemeinschaft.

Tour: 16. 6. Hannover, 17. 6. Berlin, 19. 6. Hamburg, 20. 6. Ludwigsburg, 21. 6. Offenbach, 22. 6. Nürnberg