Verblüffend gute Laune

■ Hoffnung statt Erkenntnis und der Wille zum Glücklichsein: Ein Gespräch über die Chancen der amerikanischen Linken, die "Gender-Falle", die Nation als Bezugspunkt und Geschichtsphilosophie mit dem amerikanischen Phi

taz: Mr. Rorty, Sie haben kürzlich für einige Überraschung gesorgt, als Sie in Ihrer jüngsten Publikation („Achieving Our Country: Leftist Politics in Twentieth Century America“) für einen linken Patriotismus votierten.

Richard Rorty: Die FAZ, in der ein Auszug aus dem Buch vorveröffentlicht wurde, hat das irreführend kommentiert. Ich war überrascht, dort über mich zu erfahren, ich hätte eine „Kehre“ hinter mir und würde einen „Notschrei“ ausstoßen. Ich habe mich schon immer als Linker verstanden und habe auch schon, als ich die Proteste gegen den Vietnamkrieg unterstützte, den Studenten geraten, sich von der antiamerikanischen Rhetorik zu verabschieden.

Mit dem Vietnamkrieg beginnt Ihre Erzählung von der Krise der amerikanischen Linken; dabei scheint es ihr damals doch noch recht gutgegangen zu sein.

Zwei Dinge passierten: Die Arbeiterklasse, die Gewerkschaften standen mehrheitlich hinter dem Krieg, und sie ließen sich fraglos einziehen, denn das war eine patriotische Tat. Die gebildeten Mittelschichten weigerten sich, und die Gesetze boten ihnen Schlupflöcher. Das hat das Land gespalten: Die Armen mußten losziehen und für das Land sterben, die Reichen und die Mittelschichten konnten zu Hause bleiben und zur Schule gehen. Sie hatten natürlich ein schlechtes Gewissen, was sie wiederum rasend vor Zorn machte: Einerseits wollten sie nicht in den Krieg und noch mehr Vietnamesen umbringen, auf der anderen Seite wollten sie nicht die Muttersöhnchen ihrer Regierung sein. Die Studentenbewegung, die daraus entstand, war sozusagen völlig kopflos, blind vor Wut, und unglücklicherweise wurde diese blinde Wut, als der Krieg vorbei war, sozusagen institutionalisiert, verewigt. Das Credo hieß von nun an: Amerika ist von seinem tiefsten Innern her unrettbar korrupt.

Gleichzeitig verloren die Gewerkschaften immer mehr Mitglieder auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft und Reagan/ Bush taten alles, ihnen den Garaus zu machen. Es gab keine Verbindung mehr zwischen den Intellektuellen und den Gewerkschaften. Die Intellektuellen weigerten sich, sich mit irgend etwas außer Ethnizität oder Geschlechterfragen zu beschäftigen. Plötzlich waren die einzigen Probleme, die noch zählten, die von Schwarzen, von Frauen, von spanischen Einwanderern. Das Ergebnis war, daß die Rechte rhetorisch ein leichtes Spiel hatte und auf die Linke mit dem Finger zeigen konnte: nur noch durchgeknallte Radikale, verwirrte Postmoderne, Homosexuelle, Atheisten – schreckliche Leute!

Also lieber wieder vom „Nebenwiderspruch“ reden, wenn es um individuelle Emanzipation geht, den Subjektivismus fahrenlassen...

Es ist einfach, als hätte die Rechte und die Linke ein stilles Übereinkommen geschlossen, nur noch über Kultur und nicht mehr über Ökonomie zu reden. Soll das heißen, jetzt alles aufs Spiel zu setzen, was Frauen, Schwarze oder Schwule erkämpft haben? Die Antwort ist: Je enger der ökonomische Spielraum, desto größer das Ressentiment, das jemandem wie dem Erzrepublikaner Pat Buchanan in die Hände spielt. Er kann jetzt sagen: Den ehrlichen, hart arbeitenden Amerikanern stehen die Firmen und die hochdotierten Intellektuellen gegenüber, die beide an ihr Geld wollen – Zeit für eine populistische Revolution! Da ist gerade genug Wahrheit dran, daß es wirksam ist. In der Regel sind Feministinnen Angehörige von Mittelschichten. Um eine populistische Revolution zu vermeiden – und ich halte das für eine wirkliche Gefahr –, muß die Linke über die Leute mit Mindesteinkommen reden, und sie den Schwulen, den Afroamerikanern und den Feministinnen an die Seite stellen. Wer zuerst kommt, darüber können wir uns später Gedanken machen.

Warum ist die Nation Ihr Bezugspunkt, statt zum Beispiel die lokalen Communities?

Bis zum Vietnamkrieg hat jede Bewegung in Amerika – ob links oder rechts – gesagt: Wir repräsentieren die wahre amerikanische Tradition. Man mußte eine eigene Version der amerikanischen Geschichte erzählen und sich selbst darin verorten. Die Linke konnte sagen: Seht Lincolns Emanzipationserklärung, seht die Sufragetten, seht Wilsons Rede vor den Vereinten Nationen oder Roosevelts Darstellung des New Deal, der Kampf gegen Hitler und Stalin, Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung – das ist Amerika. Die Rechte hat immer gesagt: Das wahre Amerika, das sind die tapferen, stummen, sich nicht beklagenden arbeitenden Männer und die Soldaten.

Für die Abkehr von der Ökonomie auf seiten der Linken finden Sie ein theoretisches Pendant im Poststrukturalismus; Michel Foucaults Konzept von Macht beispielsweise, die überall und nirgends zugleich ist, bezeichnen sie als eine Art akademische Schauerromantik. Wie ist es dazu gekommen?

In den späten sechziger Jahren wurde den Studenten erzählt: Die alte Linke, das sind die Gewinnler des Kalten Kriegs, Leute, die sich an das System verkauft haben. Wenn Sie ein antikommunistischer Liberaler waren, wie ich zum Beispiel, wurden Sie von den Studenten als jemand betrachtet, der seinen Frieden mit der Macht geschlossen hatte. Foucault kam da gerade recht, um dieses tiefe Mißtrauen zu schüren. Wer sauber bleiben wollte, mußte sich raushalten; damals entwickelte sich wirklich eine religiöse Metaphorik von Erbsünde, von Reinheit, von der Allgegenwart des Satans. Foucaults Gedanke, das Streben der Aufklärung nach Emanzipation habe uns erst recht in Fesseln geschlagen, ist ein Nachhall von Nietzsches aristokratischem Abscheu vor dem bürgerlichen Europa, von der Vorstellung vom Glück für alle. Wenn ich meinen Studenten mit einem Zehnpunkteprogramm komme, in dem es um Minimallöhne, Gesundheitssicherungen und so weiter geht, langweilen sie sich. Unterschiede zwischen dem einen oder dem anderen Kandidaten sind ihnen egal. Sie wollen lieber auf einer fundamentalen Ebene über „das System“ reden.

So eine Art Thomas-Pynchon- Weltbild.

Ganz genau. Thomas Pynchon ist absolut typisch für die Vorstellung von einem Amerika, in dem nichts wirklich eine Rolle spielt, weil ohnehin alles künstlich ist. Das ist kein wirkliches Land mehr, es ist nur noch eine Fassade, die von den Mächtigen aufgebaut worden ist, buntes Pappmaché. Foucault und Baudrillard haben es bei ihren Besuchen ja ganz ähnlich gesehen. Das geht auch zurück auf die Rhetorik von der generellen Undarstellbarkeit, die ich für eine dramatische Übertreibung halte. Eine ganze Generation von Studenten entwickelt bei dieser Lektüre die Vorstellung, in Amerika sei nie irgend etwas wirklich Gutes passiert.

Aber hat nicht die Popkultur immer eine Verbindung zwischen Intellektuellen und dem übrigen Amerika geboten?

Für eine Zeit hat das funktioniert, ganz sicher noch bei Bob Dylan und vielleicht bis zu Bruce Springsteen. Springsteen hat ein Lied, „The Return of Tom Joad“, eine Anspielung auf Steinbeck. Diese Art von sozialistischer Rhetorik, die von Steinbeck über Dylan zu Springsteen reicht, ist noch da, aber sie ist natürlich nicht mehr der Mainstream. Intellektuelle hören bestenfalls Rap und beschäftigen sich intensiv mit Horrorfilmen, um über Körper und andere ganz tiefe, tiefste Dinge nachzudenken. Dagegen ist nichts zu sagen, nur hat man eben oft das Gefühl, es wird zum Politikersatz.

Bei Ihrem Besuch in Deutschland kam immer wieder die Frage auf, was die Philosophie eigentlich in diesen Zusammenhängen noch ausrichten kann...

Die Philosophie sollte man eben besser gar nicht ersuchen, etwas auszurichten. Man sollte sich der Philosophie gegenüber verhalten, wie man es gegenüber dem Theater oder dem Roman tut: Man hofft, daß es brillante neue Stücke, Romane oder eben philosophische Gedanken gibt. Aber weil die Philosophie eben mitunter vorgibt, so etwas wie eine Wissenschaft zu sein, sagen die Leute: Was hat die Philosophie überhaupt für uns getan? Und das ist eine dumme Frage. Über die Grenzen der menschlichen Hoffnung haben wir weder von der Metaphysik noch von der Psychoanalyse, noch von der Geschichtsphilosophie etwas gelernt. Die Philosophie kann vielleicht eine gute Magd des Liberalismus sein, aber sie ist ganz bestimmt eine schlechte Herrscherin. Im Moment haben wir ein paar wenige interessante Philosophen, hauptsächlich Derrida und Habermas. Jemand wie Habermas hat die seltene Gabe, sowohl zu einer bestimmten Öffentlichkeit als auch zu den Philosophen zu sprechen, was sehr selten ist. Durch seine Arbeit hat er die Demokratie der Bundesrepublik unterstützt. Aber für seine politischen Ziele spielt es keine Rolle, ob er recht hat mit seinen Gedanken über Konsens und kommunikatives Handeln. Es sind einfach überzeugende politische Einwürfe, die er ebensogut als Ökonom vorbringen könnte. Dasselbe gilt für Derrida: Er behauptet, Gerechtigkeit oder Freundschaft seien sowohl notwendig als auch unmöglich – aber er gibt sofort zu, daß dieses Paradox für die Lebenspraxis keine Rolle spielt.

Aus Ihren Texten spricht insgesamt eine beeindruckend gute Laune; den Willen zur Wahrheit haben sie schlankerhand durch den Willen zum Glücklichsein ersetzt...

Das ist wahr, und es geht ein bißchen gegen die Stimmung, die ansonsten unter Intellektuellen herrscht. Mein Eindruck ist eben, daß die Dinge seit der Französischen Revolution – wenn man einmal von einigen Unterbrechungen wie Hitler und so weiter absieht – eigentlich immer ein bißchen weiter vorwärts gegangen sind. In jedem Land, das keine Diktatur hatte oder einem Krieg zum Opfer gefallen ist, gab es in jeder neuen Generation ein bißchen mehr Gleichheit, ein bißchen mehr Freiheit und so weiter. Wir brauchen also nicht unbedingt ein tiefes Mißtrauen gegen die Entwicklung. Wir brauchen eigentlich nur mehr von dem, was wir schon hatten. Für viele Leute wirkt das irgendwie entsetzlich oberflächlich; ich weiß auch nicht genau, warum. Interview: Mariam Niroumand