„Der Holocaust kennt kein Happy-End“

Soll man Kleinkindern von der Shoah erzählen, und wenn ja, was? Viele offene Fragen bei der Tagung des Kinderhaus Sternipark zusammen mit der Gedenkstätte Yad Vashem  ■ Aus Hamburg Karin Flothmann

Hamburg (taz) – Der Holocaust, ein Thema für den Kindergarten? „Das ist ja wohl das letzte!“ Der Hamburger Werbefachmann und Vater Manfred Frenz ist empört. „Ich zeig' meinen Kindern doch auch keine Horrorfilme.“ Kindern, so seine feste Überzeugung, könne man das Grauen von Auschwitz auf keinen Fall zumuten.

Alisa Badmor, die 1932 mit ihrer Familie aus Deutschland nach Palästina emigrierte, ist da anderer Meinung. Die ehemalige Lehrerin, die heute in Israel Lehrer fortbildet, meint, auch mit Dreijährigen könne und müsse über die Shoah gesprochen werden. Immerhin sei sie Bestandteil des israelischen Alltags – ob in den Medien, am Holocaust-Gedenktag oder in der eigenen Familie. Diese These vertrat Alisa Badmor auch am vergangenen Wochenende in Hamburg. Etwa hundert ErzieherInnen, LehrerInnen, Eltern und WissenschaftlerInnen aus Deutschland, Israel, den Niederlanden, Japan und den USA waren zusammengekommen, um sich drei Tage lang der Frage zu stellen, ob der „Holocaust – ein Thema für Kindergarten und Grundschule“ sei.

Fertige Antworten und Konzepte lieferte die erste internationale Tagung, ausgerichtet vom Hamburger Kinderhaus Sternipark in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, nicht. Anregungen zum Weiterdenken hingegen gab es zur Genüge. „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“, schrieb Theodor W. Adorno schon 1966. „Erziehung, welche die Wiederholung verhindern will“, müsse sich daher „auf die frühe Kindheit konzentrieren“. Dabei kann es nicht darum gehen, Kindern Fotos von Leichenbergen zu zeigen. Kinder, so betont Ido Abram, Professor für Holocaust-Education an der Universität Amsterdam, brauchen auch beim Thema Auschwitz Geborgenheit und Menschlichkeit. Doch: „Der Holocaust kennt kein Happy-End.“ Deshalb, so Abram, könne es nicht darum gehen, ihnen schon „Einsichten in die Vernichtungsstrukturen und Mechanismen zu vermitteln, die aus Menschen Aggressoren und Mörder machten.“ Zugleich, so betont der Hamburger Erziehungswissenschaftler Helmut Schreier, dürfe um Kinder aber auch keine „Informationsschutzzone gezogen werden, die sie vor allem Elend und Grauen der Welt bewahren will.“ Im Vordergrund müsse daher zunächst „das Verständnis für und die Solidarität mit den Opfern“ stehen, fordert die Frankfurter Erziehungswissenschaftlerin Gertrud Beck. „Es hilft Kindern, wenn sie sich mit Menschen identifizieren können, die überlebt haben.“Doch wie kann das konkret aussehen? Erinnerungsstätten wie das Anne- Frank-Haus in Amsterdam versuchen Jugendlichen einen ersten Zugang zum Thema zu vermitteln. In Hiroshima eröffnete vor zwei Jahren das erste „Holocaust Education Center“ auf japanischem Boden. Und im israelischen Kibbuz Lohamei Haghetaot entstand das erste Kindermuseum des Holocaust „Yad La Yeled“. Überlebende stehen hier im Vordergrund, das Leben im Ghetto ist dokumentiert (auch durch Zeichnungen von Ella-Liebermann-Shiber); ein Teil der Ausstellung widmet sich der Flucht aus Deutschland.

Alisa Badmor, die an der Konzeption des Museums beteiligt war, geht es darum, „wahre Geschichten“ zu erzählen, und das meint Geschichten von Kindern, vom Leben im Versteck, von Abschied und Trennung. „Manche meinen, nicht über das Gas und die Lager zu sprechen, hieße, die Shoah zu verniedlichen“, merkt sie an. Doch: „Kinder brauchen Hoffnung.“ Geschichten für kleine Kinder dürften daher nur ein „erstes Herantasten an die Vorgeschichte des Holocaust“ sein – egal, ob es dabei um das Abschiednehmen von den Eltern, die ihre kleine Tochter unter falschem Namen in die Obhut einer polnischen Familie geben, oder um die Beschlagnahmung eines Kinderfahrrads durch die Nazis gehe. Was aber, so fragt eine deutsche Lehrerin, wenn Kinder auf solche Geschichten patzig mit „das glaubste doch selber nicht. Das hat's doch nie gegeben!“ reagieren. Alisa Batmor reagiert schroff: „Das ist euer Problem. Darauf müßt ihr hier eine Antwort finden.“ Ob die Geschichten der Opfer und Überlebenden auch jene sein sollten, die Kindern im Land der Täter erzählt werden sollen, darauf konnten selbst deutsche ReferentInnen keine Antwort geben. Dem Mitorganisator der Tagung, Matthias Heyl, fällt zu diesem Dilemma nur eine Frage ein. In einem amerikanischen Kinderbuch erzähle ein Großvater seiner Enkelin eindrücklich von seinen Erlebnissen in Auschwitz. „The number on grandfather's arm“ heißt es, denn die Enkelin hatte beim Abwaschen die Nummer an Großvaters Arm entdeckt. Dies, so Heyl, sei „ein faszinierendes Buch für Familien von Überlebenden“. Doch wie müsse ein entsprechendes Kinderbuch in Deutschland aussehen? „Sollte das etwa ein Buch sein über Großvaters SS- Blutgruppenzeichen unter der Achsel?“