"Kaum Interesse am Dreck"

■ Interview mit dem Präsidenten der chinesischen Umweltbildungsorganisation Friends Of Nature (FON), Liang Congjie, zu Umweltverschmutzung und Umweltbewußtsein

Liang Congjie, Präsident der chinesischen Umweltbildungsorganisation Friends Of Nature, war vor kurzem in der Bundesrepublik unterwegs. Im taz-Interview schildert Liang die desolate Umweltsituation in seinem Heimatland.

taz: Professor Liang, welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Umweltgedanke in China?

Liang Congjie: Leider machen sich die meisten Leute in China kaum Gedanken über die Umwelt. Aber meiner Meinung nach ist das nicht so, weil es ihnen egal ist, sondern weil sie nur unzulänglich über Umweltbelange informiert sind. Sie wissen schlicht zuwenig. Deswegen hat sich FON dem Ziel verschrieben, Chinas Umweltbildung zu verbessern. Wir wollen die Leute aufklären, damit sie verstehen und selbst handeln können. Es ist teils dramatisch, was vor unserer Tür passiert. Als ich vergangenes Jahr den für seine Schönheit berühmten Dian-See bei Kunming besuchte, spülte sein schwarzes Wasser nur Müll an die Ufer. Es stank, und vor Smog konnte ich nicht mehr über den See blicken. Gleichzeitig versorgt der See die Stadt aber immer noch mit Wasser.

Wie ist das Verhältnis von FON zu Staat und Regierung?

Wir setzen auf die Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen. Gerade in Chinas Einparteiensystem muß die Regierung beim Umweltschutz Hauptakteur sein. Es ist ihr Job! Keine unabhängige Organisation kann die Regierung ersetzen, wir können weder Gesetze verabschieden noch Fabriken schließen. Aber wir nehmen uns das Recht, die Umweltaktivitäten der Regierung genau zu beobachten, gegebenenfalls zu kritisieren und dann unsere Vorschläge zu machen.

Was heißt das in der Praxis?

In einem offenen Brief, der vergangenes Jahr in mehreren Zeitungen veröffentlicht wurde, protestierte FON gegen das Abholzen eines Waldes in der Südprovinz Yunnan, weil in dem Wald die letzten 200 Exemplare des gefährdeten Goldaffen leben. Die Provinzregierung hatte der Gemeinde bereits grünes Licht gegeben. Aber durch den Aufruf bekamen wir Unterstützung von Vizepremierminister Jiang Chunyun. Er intervenierte bei der Provinzregierung, und die Rodungserlaubnis wurde zurückgezogen. In einer weiteren Petition rufen wir gerade Pekings Regierung auf, die dreckschleudernde Stahlfabrik der Stadt zu schließen, bislang jedoch ohne konkretes Ergebnis.

Kam es irgendwann zu Problemen von offizieller Seite?

Nein. Unsere Organisation kann ruhig arbeiten. Allerdings verlor der Staatsbedienstete aus Yunnans Provinzregierung, der uns vor der bevorstehenden Rodung des Goldaffenwaldes warnte, daraufhin seinen Job.

Ihr Hauptziel ist der Ausbau der Umweltbildung. Wie läuft die Kooperation mit den Schulen?

FON führt ständig Lehrerschulungen durch. Außerdem halten wir regelmäßig Vorträge in Schulen und Universitäten. Alleine ich habe im letzten Jahr rund 20 Universitätsvorträge gehalten. Eine Studentin aus Kunming schrieb mir, daß sie sich seit meinem Besuch für die Pflege des zentralen Cuihu-Parks einsetzt.

Noch quellen die Straßen über vor Müll. Was halten sie von der Praxis, schon bei kleinen Umweltdelikten drakonische Geldstrafen zu verhängen, wie es beispielseise Singapur praktiziert?

Es kann etwas bewirken. Die Leute bei uns sind es gewöhnt, daß sie Instruktionen von der Regierung bekommen. Natürlich soll nach der modernen Demokratietheorie der Staat möglichst wenig Einfluß auf die Entscheidungsebene seiner Bürger nehmen. Im heutigen China kann es jedoch noch helfen, wenn ihnen jemand sagt, was sie tun sollen, auch per Gesetz. Schnell wird vieles zur Gewohnheit, nicht mehr diskutiert.

Ihr Wunsch für die Zukunft?

Die Regierung könnte es der Bevölkerung erleichtern, sich zu organisieren. Privates Engagement sollte nicht gleich als Regierungskritik gelten. Wir können beispielsweise nichts dafür, daß Peking vor 40 Jahren ein Stahlwerk in unmittelbarer Stadtnähe baute. Wenn man es jetzt zusammen schafft, Chinas Situation zu verbessern, dann überwiegen meines Erachtens auch für die Regierung die positiven Effekte. Interview: Martin Kühl