500 Briefe an Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley

■ Vor einem Jahr wurde das Bürgerbüro für DDR-Opfer eröffnet. Hauptaufgabengebiet: DDR-Wehrdienstverweigerer und Rentenanträge

Es ist still geworden um Bärbel Bohleys Bürgerbüro für DDR- Opfer in der Bernauer Straße im Wedding. Am symbolträchtigen 17. Juni vor einem Jahr erblickte „Bürgerbüro e.V.“ das Licht der Welt mit Kanzlers Segen. Der Wind um die Vereinsgründung habe sich im nachhinein als Fehler herausgestellt, resümiert Erhart Neubert, der für die in Sarajewo tätige Bärbel Bohley die Geschäfte vertretungsweise führt. Der Verein hatte „nur den guten Namen“, eine Satzung und ein paar wichtige Beitragszahler – neben dem Bundeskanzler auch Rudolf Scharping – aber keine Arbeitsstrukturen.

Waschkörbeweise gingen die Briefe zu Beginn ein. Von Bohleys Schreibtisch wurden sie postwendend ins Bundeskanzleramt weitergesandt und dort bearbeitet. Welcher Verein erhält sonst noch so hochbezahlte Hilfe? Spenden der Medienriesen Bertelsmann und Kirch in Höhe von 100.000 und 50.000 Mark gestatten den Bürgerrechtlern mittlerweile ein professionelles Arbeiten. Eine Sekretärin und zwei BeraterInnen konnten eingestellt werden. Sechs weitere BeraterInnen nahmen sich ehrenamtlich den Sorgen an. Täglich kamen drei bis vier BesucherInnen unangemeldet ins Büro. Mehr als 500 Briefe sind bislang eingegangen. Dabei sind die, die Helmut Kohls Vorzimmer selbst beantwortete, nicht mitgezählt.

„Ein leichter Fall“ liegt auf Neuberts Schreibtisch. Gisela K. ist Rentnerin geworden. Sie meint, für ihren 1989 verstorbenen Mann mehr Rente bekommen zu müssen, als ihr die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) bewilligt. Weil Herr K. am 17. Juni 1953 laut kundgetan hatte, was er dachte, wurde ihm sein Diplom aberkannt. Bis zu seinem Tod mußte sich der Hochschulabsolvent auf niederqualifizierte Tätigkeiten einlassen. „Hätte mein Mann als Hochschulabsolvent arbeiten dürfen, bekäme ich heute mehr Hinterbliebenenrente“, schreibt Gisela K. Expfarrer Neubert ist sicher, daß der Frau geholfen werden kann. Das Bürgerbüro läßt von einem Experten einen professionellen Rentenantrag schreiben, mit dem Gisela K. bei der BfA gute Karten hat. Er schreibt Frau K., sie solle sich um die Kaderakte des verstorbenen Mannes kümmern.

Neben Gutachten transportiert das Büro auch Themen in die Öffentlichkeit. So haben sie in Bonn gefordert, Verfolgungen wegen Wehrdienstverweigerungen in der DDR als politische Verfolgung anzuerkennen. In allen Parteien gebe es Menschen, die für die Anliegen des Bürgerbüros ein offenes Ohr hätten. Aber in allen Parteien gebe es, so der Neu-CDU-Mann Neubert, auch eine „Affinität für die Täter. Opfer erzeugen bei manchen Leuten Aggressionen.“

Die Themen, auf die sich das Bürgerbüro spezialisierte, umreißt Neubert mit Rehabilitation, Haft- und Zersetzungsopfer, politisch bedingter Eigentumsentzug und Wehrdienstverweigerung. Die Belange von AusländerInnen, die in der DDR diskriminiert wurden, fallen nicht in das Arbeitsgebiet des Büros. Bärbel Bohley hatte jedoch angeregt, so Neubert, die Belange von Bosnien-Flüchtlingen mit zu bearbeiten. Der Vorschlag wurde abgelehnt. Marina Mai