■ Schlagloch
: Foosball Fever Von Pieke Biermann

„Gute Frau, schicken Sie ihren Bruder. Mit dem red' ich.“ Otto Rehhagel (Trainer von Werder Bremen) 1993 zu Sabine Töpperwien (Sportreporterin)

Die bundesligalose, die schreckliche Zeit ist wieder da, aber richtig auf Entzug muß dieses Jahr niemand. Denn einerseits haben es derart viele – wie das jetzt gern heißt – nationale Clubs zu transnationalen Pütten & Pannen gebracht, daß Newsweek kürzlich das US-amerikanisch-britische Doppel Soccer/Football mit einem teutonischen Hattrick ins Abseits stellte und Foosball kreierte. Knapper geht's kaum, und subtiler waren bisher nur ein paar der vielbejaulten Sun- und Mirror-Titel zur 96er Europameisterschaft. Der bildliche Dank des britischen Vaterlandes an den französischen Schiedsrichter etwa, dessen dreiste Fouls Spanien rausgekegelt hatten. Aber das merkt hier ja kein Schwein – wer „Blitz the Fritz“ für eine Kriegserklärung hält, hat eben keine Nase für die Pointe, daß ausgerechnet die Frogs ausgerechnet den Brits ausgerechnet die Armada versenken helfen.

Apropos Frankreich. Schöne Zeiten für die FreundInnen des 90minütigen runden Balls verspricht natürlich die nächste Weltmeisterschaft. Nein – nicht weil „unsere Nationalelf“ inzwischen schönen Fußball gelernt hätte. Von wem auch? Deutschland liegt nun mal nicht in Lateinamerika, nicht mal am Mittelmeer. Punktgenaue Spielironiker wie Basler werden hierzulande ständig auf mangelnde Arbeitsmoral hin seziert, durchaus zauberfähige wie Möller als mimosenhafte Fohlen demoralisiert, Fußball-Essentials wie Eleganz und Intelligenz ausgerechnet einem Sammer angedichtet, der – falls er seine Ellbogen und Stollen mal aus anderer Leute Weichteilen kriegt – fast jeden Ball großräumig umjoggt, mit ergonomisch korrekt angewinkelten Ärmchen, und dabei aussieht wie der geziert abgespreizte kleine Finger des teutonischen Bagatelladels.

Schöner Fußball kann nicht herauskommen bei Landvogt Bertis Fortsetzung der Politik seines bewunderten Kanzlers mit rasenmäherischen Mitteln. „Die Mannschaft“ (früher: „Das große Ganze“) sei alles, der einzelne („das Individuum da“) am besten friedhofsstill, so der gebetsmühlenartig rasselnde Tagesbefehl; zum Sieg komme man „durch Kampf“, vor allem aber durch „Arbeit, Arbeit, Arbeit“. Was derlei „deutsche Werte“ aus der dito Gesellschaft gemacht haben, wissen wir inzwischen. Und womöglich ist auch der „nationale Fußball“ nur durch den Regierungswechsel vom Primat der Sekundärtugenden zu befreien. Und der kommt. Selbst wenn Bundestrainer Vogts den „Nationalkader“ auf zwei Millionen vergrößert, um seinem Vorbild bei der Halbierung der Arbeitslosenzahl behilflich zu sein.

Trotzdem muß Deutschland natürlich die Qualifikation schaffen und auch recht lange bei der WM mittreten nächstes Jahr. Wie sonst sollten wir LiebhaberInnen des wirklich schönen Fußballs aus anderen Ländern an unsere Dosis kommen?

Daß die Bundesligapause dies Jahr fußballgesättigt ist, liegt andererseits aber an einem endlich angenommenen und freudig über alle Flügel gespielten Paß von jenseits des Weißwurstäquators. Jahrelang hat der FC Hollywood (vulgo: Bayern München) nun allein den Minenhund gegeben und gezeigt, wie's geht. Jetzt haben's alle geschnallt: Wer beim Fußball nur auf den „Proll-Faktor“ setzt, tritt zu kurz und muß bald noch kürzer treten. Moderner Fußball braucht dazu – oder sogar vorweg – den „Salon-Faktor“. Und „Salon“ heißt im Land des traditionell dünn gesäten kultivierten Bürgertums soviel wie die Schnittmenge von Wohnzimmer („für die ganze Familie“) und Wochenmagazin („für die gebildeten Schichten“).

Regelrecht schick ist er jetzt, der in seinen Ligen gar nicht so deutsche „deutsche Fußball“. Zwar muß man bei den Übertragungen der ARD immer noch den Ton abschalten, weil sich da niemand traut, Heribert F. endlich das Mikro wegzunehmen, und gehorcht das Gros der Reportagen dem Prinzip „Sodom & Wontorra“. Aber das FAZ-Magazin (dem ich das aparte Zitat von Drill-Sergeant Drehnagel verdanke) füllte seine Rubrik „Leute“ letzte Woche zu einem Drittel mit Fußballern; das SZ-Magazin der Vorwoche läßt den in die zweite Liga zurückgeächzten „Klöb“ (1. FC Nürnberg) von einem Modefotografen der Weltliga ablichten; Vereine, die noch vor kurzem bigott auf „Proll- Ticket“ reisten, prahlen mit ihrem Umsatz und der Zahl ihrer Jungmillionäre; Prominente, vorzugsweise weibliche, als Galionsfiguren sind en vogue, man denke nur an die Dame von der „Tagesschau“ mit dem allerliebsten winzigen Sprachtick, die aus dem Ha-Ess- Vau bald den Ha-Ess-Pau gemacht haben wird.

Besonders medienkompatibel ist derzeit auch alles, was als „Außenseiter“ durchzugehen versteht. Da kommt ein dritter Faktor ins Spiel: U wie Underdog. Nicht daß St. Pauli, Cottbus oder Hamster Rohrstock durch bemerkenswert schöne Spiele auffielen; sie füllen einfach die Vakanzen, die Dortmund, Leverkusen und Schalke hinterlassen. Das heißt dann „ehrlich“ und „gegen das Establishment“ und bedient zuverlässig die Ressentiments derer, die sich am liebsten zu kurz gekommen fühlen, am besten gleich „als ganze Region“. Ein schönes weites Feld für Parareligiöses („Fußballgötter“) und Herzbeschwerden – welche „Region“ möchte sich nicht nachsagen lassen, daß in ihr „das Herz des Fußballs“ schlägt? Obwohl jedes Kind – nicht erst seit dem neuen Manchester-United-Kapitalismus – weiß, daß auch das Herz des Fußballs vor allem an der Börse schlägt.

Und dann ist da noch eine „Region“ namens „Hauptstadt“. Auch nicht eben berühmt für schönen Fußball, nicht mal für ordentliches Business, und obendrein – Berlin hinkt eben in manchem gern hinterher – versehen mit Tifosi der Art, die man heute einfach nicht mehr hat. Nun steckt seit kurzem ein beleibter Medienkonzern Geld und Know-how in unser altes Frollein Hertha, und siehe da – in die Bundesliga hat sie's schon gebracht. Die Lokalpresse jubelt. Berlin ist wieder wer. Das bißchen Medienrummel wird doch hinzukriegen sein. Man könnte die Knochen von Sepp Herberger ausbuddeln und öffentliches Orakelwerfen am Brandenburger Tor machen, das schafft religiöse Tiefe im säkularen Preußen; man könnte Claudia Schiffer als PR-Tante engagieren, sie sieht immerhin besser aus als Günter Jauch und würde die Hertha-Frösche neutralisieren; man könnte – wenn man Bertelsmanns Geld und meine Sorgen hätte – sofort Anthony Yeboah zurückholen... Ach, ich wüßte eine ganze komplette Metropolenelf aus diversen Ländern, inklusive deutschen... Aber wie ich den Laden hier kenne, wird doch bloß wieder Marschmusik gespielt. Die passenden Feldwebel dafür sind allzu unsolide gebunden zur Zeit: Real Madrid will Heynckes nur zwei Jahre, und auch die Scharmützel am Betzenberg lassen Schlimmes befürchten.

Aber wir haben ja noch die jüngste Fußballentdeckung: Spielerfrauen und Spielerfreundinnen. Wie steigt man eigentlich ins Geschäft mit Namen-T-Shirts ein?