Geheimnisumwittert bis zum Schluß

Kambodscha spekuliert über das Schicksal des ehemaligen Diktators Pol Pot. Das Radio der Roten Khmer meldet das Ende seines „Verrats“ und nennt Khieu Samphan als neuen Chef  ■ Aus Phnom Penh Jutta Lietsch

„Ich schäme mich“, sagt Dr. Lao Mong Hay, „Freude zu zeigen, wenn Menschen gestorben sind, ist schlimm“ – selbst wenn es sich um Führer der Roten Khmer handele, die jahrelang Angst und Schrecken in Kambodscha verbreitet haben. Lao ist Chef des Kambodschanischen „Instituts für Demokratie“, einer angesehenen Menschenrechtsorganisation in Phnom Penh. Er ist entrüstet, weil Premierminister Prinz Norodom Ranariddh der Öffentlichkeit mit offensichtlicher Genugtuung Fotos zeigen ließ, auf denen die blutigen Leichen einiger enger Vertrauter des „Bruders Nummer 1“, Pol Pot, zu sehen sind.

„Sie haben bekommen, was sie verdienen“, sagt dagegen ein Regierungsberater schulterzuckend und erinnert daran, daß der getötete Son Sen einst für das berüchtigte Foltergefängnis Tuol Sleng verantwortlich war, wo in der Regierungszeit der Roten Khmer zwischen 1975 und Anfang 1979 über 10.000 Menschen umkamen.

Seitdem der Prinz in der vergangenen Woche über den blutigen Machtkampf im harten Kern der Pol-Pot-Truppe und über deren Flucht aus ihrem Dschungelhauptquartier berichtete, wuchern in Phnom Penh Gerüchte über das „endgültige“ Ende der Roten Khmer. Die Spannung wird angeheizt vom bizarren politischen Verwirrspiel der kambodschanischen Regierung, deren zwei Koalitionsparteien tief zerstritten sind. „Es ist nur eine Frage von ein, zwei Tagen“, bis Pol Pot gefangen sei, hatte der Prinz noch am Montag versprochen. Sein Amtskollege und zweiter Premierminister Hun Sen bezweifelte dies öffentlich. Vielleicht könnte Pol Pot doch nicht so schnell gefaßt werden, gab der Prinz am Tag darauf zu.

Noch wilder wucherten die Spekulationen gestern nach einer Erklärung des geheimen Radiosenders der Roten Khmer, der nach mehrtägigem Schweigen erstmals wieder zu hören war. Darin gab ein ungenannter Sprecher der Organisation bekannt: Das Problem „der verräterischen Pol-Pot-Kräfte“ sei „in aller Stille gelöst“ worden. Chef ihrer „provisorischen Regierung der Einheit und des Heils“ und der „Partei der nationalen Einheit“ sei Khieu Samphan, der bislang als Vertrauter Pol Pots galt. Aus dieser Formulierung schlossen langjährige Kambodscha-Beobachter („Ich bin absolut sicher“), daß Pol Pot tot sei. Mit ebensolcher Überzeugung („Das sagt mir mein Herz“) behauptete ein Mitglied der royalistischen Funcinpec-Partei von Prinz Ranariddh, der geheimnisumwitterte Guerillachef sei noch am Leben. „Vielleicht ist er schon im Exil in Thailand oder China, wer weiß.“

Die jüngsten Entwicklungen haben die Kluft zwischen den beiden Regierungsfraktionen noch weiter vertieft. Öl ins Feuer goß gestern das Rote-Khmer-Radio: Khieu Samphan werde künftig den Prinzen unterstützen und gemeinsam gegen den „völkermörderischen vietnamesischen Feind und dessen Marionette Hun Sen“ kämpfen. Das ist eine Anspielung auf die Besetzung des Landes durch Vietnam nach der Vertreibung der Roten Khmer 1979. Hun Sen begann seine politische Karriere in Kambodscha mit Hilfe der weithin verhaßten Vietnamesen.

Besonders empfindlich hat der zweite Premierminister Hun Sen in letzter Zeit auf die Erklärungen des Prinzen reagiert, er wolle mit dem Roten Khmer Khieu Samphan wieder zusammenarbeiten, wenn der sich nur von Pol Pot lossage. Der Grund ist einfach: „Viele Leute in Kambodscha glauben, daß Khieu Samphan nicht für den Völkermord verantwortlich ist, denn er hatte in den 70er Jahren nur repräsentative Funktionen – er war nur Präsident“, sagt Menschenrechtler Lao Mong Hay.

„Khieu Samphan ist sogar ziemlich beliebt“, meint Lao. Sein guter Ruf stamme aus den sechziger Jahren. Er gelte seither als unkorrupt und ehrlich: Als Handelsminister in der Regierung Sihanouk fuhr er damals mit dem Fahrrad und nicht mit einer Luxuslimousine ins Amt. Er habe sich wirklich für die Leute eingesetzt. „Als seine dicken, bestechlichen Kollegen das sahen, da sorgten sie dafür, daß er abgesetzt wurde.“ Khieu Samphan ging später in den Untergrund.

In Kambodscha, wo eine kleine Schicht in der Regierung sich offensichtlich schamlos bereichert, während die Hoffnung der Armen auf ein besseres Leben bitter enttäuscht wurde, wiegen solche Erinnerungen für viele schwerer als die Frage nach einer Verantwortung Khieu Samphans für die Verbrechen der Roten Khmer.

Wie ein Rufer in der Wüste erschien da gestern der UNO-Sonderbeauftragte Thomas Hamerberg, der in Kambodschas Hauptstadt mit dem Regierungschef konferierte. Er plädierte für ein internationales Tribunal gegen die Organisation der Roten Khmer.