Pflichtausflug ins Rathaus

■ Jugendliche aus Minsk besuchen die „Wehrmachtsausstellung“/ Olga: „Ich wohne auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos“

s ist nicht die erste Frage, die gestellt wird, sondern die zweite: „Und wie benehmen sich die Nazis heute bei Euch? Sind sie verboten?“Der Führer durch die Ausstellung, angehender Historiker und mit Leib und Seele bei der Sache, redet sich in Rage. Erzählt von den Protesten gegen die Schau und davon, wieviele Unverbesserliche auch in den vergangenen zwei Wochen durch die Rathaushalle gelaufen seien. Viel zu viele Nazis gäbe es noch, selbst in Parteien dürften sie sich organisieren. In Bremen habe die DVU es bis ins Parlament geschafft. Betretenes Schweigen bei den Gästen, aber auch ein bißchen Verständnis. Mit Diktaturen ist man auch in Weißrußland bis heute schließlich bestens vertraut.

Die 19 Jugendlichen aus Minsk, die in dieser Woche die Wehrmachtsausstellung im Bremer Rathaus besichtigten, konnten die Aufregung nicht so recht verstehen und legten im Umgang mit der deutschen Vergangenheit deutlich mehr Souveränität an den Tag als zum Beispiel die Bremer CDU. „Etwas Neues habe ich hier nicht gesehen“, erzählt der 23jährige Vladislav, „wir leben seit 50 Jahren mit der Erinnerung an den Krieg. In jedem Buch, in jedem Film – wir sind mit Material zugeschüttet worden.“Auch sei es in Weißrußland immer üblich gewesen, von der „faschistischen Wehrmacht“zu sprechen. „Das ist doch klar, daß sie die Erfüllungsgehilfin der NSDAP war.“

Die 21jährige Olga, Sozialpädogin in Minsk, ist da schon einfühlsamer. „Ich lebe auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos“, erzählt sie, „direkt neben dem jüdischen Friedhof. Die Leute erzählen mir oft, dort seien Tausende erschosssen worden. Und dann diese Bilder zu sehen, ist ein ganz schön merkwürdiges Gefühl.“

Alle 19, die für eine Woche auf Einladung des Sozialen Friedensdienstes in Bremen weilen, kommen aus der Stadt, in der ein Großteil der Bilder aufgenommen wurde, die zahlreiche BesucherInnen hier erstarren lassen: Bilder von Massenerschießungen, von strahlenden Soldaten, die einen Erhängten hochheben, von zerfetzten Körpern und brennenden Häusern. Die, die es am meisten trifft, stehen hier am unbeteiligtsten, freundlich, interessiert, aber ohne sichtbare emotionale Regungen. Ein bißchen wirken sie so wie eine deutsche Schulklasse bei einem Pflichtausflug nach Bergen-Belsen.

In Weißrußland dauerte die deutsche Besatzung am längsten. Ein Drittel der Bevölkerung wurde dort zwischen 1941 und 1945 vernichtet. Vor genau 56 Jahren, am 19. Juli 1941, befahl der Minsker Stadtkommandant allen Juden, sich binnen fünf Tagen im Ghetto einzufinden, das sie anschließend nur noch in Kolonnen zur Zwangsarbeit verlassen durften. Später wurden auch deutsche Juden in dem Ghetto untergebracht. Unglaublicher Zynismus innerhalb der Rangordnung der zu Vernichtenden: Um für die deutschen Juden Platz zu machen, wurden 6.000 russische Juden vernichtet. Heute ist – nach offiziellen Angaben – nur noch ein Prozent der weißrussischen Bevölkerung jüdisch.

Doch mit dem Thema Judenverfolgung ist den Minsker BesucherInnen schwer beizukommen. Wie in den meisten anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion boomt auch hier der Antisemitismus. Wer konnte, ist längst nach Israel oder Deutschland ausgewandert. „Jude“wird heute noch in den Paß eingetragen. „Auch die Gedenkfeiern zum 9. Mai in dem sogenannten jüdischen Graben sind erst seit zwei Jahren öffentlich“, erzählt Olga.

Nur ungern sprechen die Minsker von Ressentiments gegenüber der jüdischen Bevölkerung. „Von staatlicher Seite gibt es keine Diskriminierung“, sagt der 23jährige Dmitri. Aber die Pressefreiheit hat der Alleinherrscher Lukaschenko in den vergangenen Jahren massiv eingeschränkt – vielleicht sind die Besucher deshalb so schweigsam. So muß man es Vladislav vermutlich hoch anrechnen, wenn er sagt, er fände die Ausstellung aus zwei Gründen wichtig: „Erstens weil es hier immer noch Nazis gibt. Und zweitens, weil auch in Weißrußland die Gefahr eines Neonazismus sehr groß ist.“ jago