Der Text ist die Party

Lautes Denken aus dem Klassenzimmer des Lebens: KRS-One, Gangsta-Rapper, Humanist, Edutainer und Selfmademan, gibt HipHop sein verlorenes Zentrum zurück  ■ Von Jörg Heiser

Wenn KRS-One ein neues Album rausbringt, bringt er nicht einfach nur ein neues Album raus. Selbst wenn er im Intro zu „I Got Next“ erst mal nur Oma und Opa grüßen würde – die Ohren aller geschichtsbewußten HipHop-Fans würden weiter an den Boxen kleben und seinen ungezügelten Redeschwall darauf abhören, ob er die Welt oder wenigstens HipHop neu erklären hilft. Was hat uns KRS-One alias Laurence Krishna Parker zu sagen, jetzt, wo HipHop die Charts regiert und doch in seiner tiefsten Krise steckt? Wohin bewegt er sich?

KRS-One weiß, was von ihm nach über zehn Jahren im Biz erwartet wird. Deshalb steht sein jüngstes Werk mit der ersten Sekunde wieder mitten im Klassenzimmer der Schule des Lebens und der Straße. Die Begrüßung durch eine professionelle Ansagerinnenstimme ist fröhlich, aber bestimmt: „Willkommen in der HipHop-Kultur, wo DJing, MCing, Graffiti, Breakdance und die dazugehörigen Philosophien jeden Tag in den Innenstädten Amerikas und der Welt ausgeübt und ausgedrückt werden.“ Damit das gleich mal klar ist. Und nichts weniger behauptet, als daß HipHop als Ganzes und Ideal locker von dieser einen Platte repräsentiert werden kann. Wer glaubte, daß nach den Attentaten auf 2Pac und The Notorious B.I.G. nichts so weit weggerückt schien wie die Zeit, als die Welt in der heiligen Vierfaltigkeit von DJing, Rappen, Breaken, Sprayen noch in Ordnung war: Hier ist sie wieder, die HipHop-Kultur, wie frisch aus dem Ei gepellt.

Mit Weitermachen und Überleben kennt sich Kris Parker allerdings auch aus, und wenn ihn jemand nach seiner Kindheit fragt, fallen ihm erst mal drei Wörter ein: „Kämpfen, kämpfen – und Spaß.“ Die ersten zwei Vokabeln passen zur Biographie des Jungen, der sich mit 13 Jahren von seiner Mutter verabschiedet, fortan auf den Straßen der South Bronx lebt und seine Mahlzeiten meistens aus der Mülltonne klaubt. Die dritte Vokabel klingt, als hätte sie sich ein Reporter dazugedacht, der Armut ganz schön aufregend findet. Aber irgendwo muß die alerte Unbekümmertheit in KRS-Ones Sprachfluß ja herkommen, die jeden Satz aus seinem Mund nach wie vor beseelt, jede machistische Färbung sofort mit einem beinahe hysterischen Krächzen übersteuert. Ohne Grundspaß geht das jedenfalls nicht, und sei er durch noch soviel postoptimistisches Katastrophen-Wegstecken hindurch erkämpft.

Die sieben Leben des Krishna Parker

Entsprechend steht KRS-One dann auch wieder amüsiert und souverän im zweiten Stück der Platte auf der Bühne, Mikro und Publikum in der Hand: „Alle, die ein Tapedeck dabeihaben: drückt die Aufnahmetaste, ich will noch ein bißchen Authentizität auf euer Band draufpacken, damit, wenn's auf der Straße verkauft wird, jeder erkennen kann, daß das hier eine richtige Party war.“ Die Party ist der Text, den er dann solo auf das alte Thema „die Reichen werden reicher, die Armen ärmer“ variiert. Die gereimte Erkenntnis diesmal: keine falsche Bescheidenheit, Reichtum fordern, du kannst deine Nachbarschaft auch lieben, ohne die Armut zu lieben.

Ob das nun kapitalismuskritisch gemeint ist oder gerade nicht, entscheidet KRS-One wahrscheinlich dann von Fall zu Fall. „Ich lebe mehrere verschiedene Leben auf einmal“, sagt er von sich – und damit ist keine opportunistische Flexibilität gemeint, sondern eine Beweglichkeit, die lautes Denken zuläßt samt dem Quatsch, der dabei oft genug herauskommt: Wenn er zum Beispiel in einem Interview mit dem Musikmagazin Vibe erst behauptet, daß nur Schwarze HipHop-begabt sein können, weil das genetisch verankert sei, und dann doch sagt: nein, egal welche Hautfarbe, für den Moment, wo du Unterdrückung spüren kannst, bist du HipHop.

Klare, in sich widerspruchsfreie Positionen finden sich bei KRS- One selten, und für apodiktische Statements interessiert er sich nur so lange, wie er braucht, sie auszusprechen. Oder wie er es gegenüber Vibe ausgedrückt hat: „Ich bin, was immer der Moment verlangt. Jeder, der mich studieren will, muß wissen, wer ich im betreffenden Moment bin. Und ich bin das aufrichtig in dem Moment.“

Taktik im Dreisprung

Auf die Art hat KRS-One seit seinen frühen Tagen mit Boogie Down Productions immer wieder kaum auflösbare Widersprüche produziert. Zusammen mit Scott La Rock, den er noch als seinen Sozialarbeiter Scott Sterling aus dem Männerwohnheim an der Franklin Avenue Ecke 166. Straße kannte, brachte er 1987 die bahnbrechende LP „Criminal Minded“ heraus: Auf dem Cover posierten die beiden mit Waffen. Noch im gleichen Jahr wurde Scott La Rock bei dem Versuch, einen Streit zu schlichten, erschossen. Zwei Jahre zuvor hatte KRS den Rap „Stop The Violence“ geschrieben, und anstatt Boogie Down Productions aufzulösen, brachte er 1988 die LP „By All Means Necessary“ heraus, auf der der Track nun enthalten war. Das Cover zeigte ihn aber erst recht wieder mit Waffe: diesmal in der Malcom-X-Pose, Blick durch den Vorhang auf die Straße. In „My Philosophy“ war die Forderung formuliert: „Laßt uns zu dem zurückkehren, was wir HipHop nennen, und zu dem, was er für DJ Scott La Rock bedeutete...“ Die Erneuerung des HipHop durch KRS-One und Public Enemy war zweischneidig geworden: Einerseits war Rap nun politisiert, standen Goldketten und Sneaker nicht mehr im Mittelpunkt, andererseits war die in manchen Momenten utopische Partyseligkeit der Old School damit unwiederbringlich verloren.

Um so weniger aber war die Mission des Kris Parker erfüllt: Mit dem Ende der Achtziger wurde aus dem Rapper im Proto-Gangsta-Style der Edutainer (so sein Neologismus aus Education und Entertainer), der nie müde wird, in der Rolle des Lehrers und Predigers einen Mix aus humanistischen Werten, Bewußtseinsbildungsrhetorik und Kritik am Staat und seinen Organen vom Stapel zu lassen. Was sich im Rückblick als inkonsequentes Schwanken zwischen Knarren-Pose und „Stop The Violence“-Slogans ausnimmt, war aus der Sicht KRS-Ones legitime Taktik im Dreisprung: erst die sowieso mit Waffen vertrauten Street-Kids mit entsprechenden Images für sich gewinnen, sie dann zu humanistischen Idealen bekehren und schließlich zu Bildung und kreativer Entfaltung animieren.

Steinbruchbeats und Sahnetorten

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo dieser missionarische Eifer längst einer entspannteren, selbsthistorisierenden Statuspflege gewichen ist, könnte KRS-Ones originäre Position noch einmal wichtig werden. Wie schon auf den letzten Alben schwankt KRS-One auf „I Got Next“ (Jive/Rough Trade) zwischen den unbehauenen Beats im Stil früherer Tage und eleganten Loops (manchmal frisch und zupackend, manchmal nur unentschlossen) – was heute im Vergleich zu den verschachtelten Noise-Kunstwerken aus dem Hause Wu-Tung Clan oder opulenten G.-Funk-Sahnetorten fast schon wieder etwas ungewohnt Klares und Direktes hat.

Genau so eine Wohlklang-Sahnetorte hat aber nun Sean „Puff Daddy“ Combs, Labelmanager des erschossenen Notorious B.I.G. und gerade mit „Nobody Can Hold Us Down“ weltweit in den Charts, zusammen mit KRS-One aufgenommen: Blondies Frühachtziger- Rap-Crossover „Rapture“ wird als „Rapture's Delight“ zur Beschwörung einer Zeit, in der HipHop gerade zum erstenmal Pop geworden war, und Puff Daddy findet in KRS-One einen HipHop-Veteranen, dessen Partner zehn Jahre zuvor ebenfalls erschossen worden war. In den Refrain hinein rappt er, cool wie das Pfeifen im Wald: „We can't stop, we won't stop, Scott La Rock, rest in peace, Biggie Smalls, rest in peace.“

KRS-Ones Album ist vor zwei Wochen mit einem – für einen älteren HipHop-Künstler wie ihn – erstaunlich hohen dritten Platz in die Billboard-Charts eingestiegen. Es kann gut sein, daß die Single das noch überbietet. Wahrscheinlich würde er das mit den gleichen Worten kommentieren, mit denen er sein Erscheinen in einer Nike- Werbung verteidigte: „Es ist wichtig für KRS-One, im Mainstream aufzutauchen, aber nicht als Mainstream-Künstler.“