: Nebelschwaden über Ustica
Obwohl ein neues Gutachten einen Luftkampf nahelegt, bleibt der Absturz eines Passagierflugzeuges auch nach 17 Jahren weiter ungeklärt ■ Aus Rom Werner Raith
Das Gutachten wiegt zwei Kilo, ist 800 Seiten stark und läßt die Verfechter der These, daß 1980 über Ustica ein Passagierflugzeug abgeschossen wurde, jubeln. Doch es bringt kaum Erhellung über das hinaus, was bereits auf andere Weise geklärt ist: Im Falle der über der Mittelmeerinsel abgestürzten DC 9 Itavia (81 Tote) haben die monatelangen Untersuchungen der nach 15 Jahren Ringen mit den Militärs freigegebenen Radaraufzeichnungen den Beweis erbracht, daß um das Unglücksflugzeug herum mindestens sieben weitere Flieger in Bewegung waren.
Dies steht in krassem Gegensatz zu der bis heute vom italienischen Generalstab und den Nato-Stellen vertretenen Behauptung, zur Absturzzeit (21 Uhr) seien „alle Flugzeuge am Boden, alle Raketen in den Hangars“ gewesen. Die These, wonach die Maschine nicht durch Materialermüdung oder eine interne Explosion abgestürzt ist, sondern abgeschossen wurde, ist damit erneut bekräftigt worden.
Nach den Darlegungen des neuen Gutachtens muß um die DC 9 herum ein regelrechter Luftkampf getobt haben: Mehrere der Flugzeuge flogen ohne Freund- Feind-Kennung, zwei dagegen waren Abfangjäger der italienischen Luftwaffe. Deren Piloten können allerdings nicht mehr aussagen – sie stürzten aus bis heute ungeklärten Gründen 1988 während einer Kunstflugschau in Ramstein ab. Auch mehrere andere mutmaßliche Zeugen der Nacht von Ustica kamen gewaltsam ums Leben.
Die Gutachter haben sich auch die Frage gestellt, woher die nichtidentifizierten Flugzeuge gekommen sein können: Die These, wonach es sich um libysche Maschinen handelte (Staatschef Gaddafi war unterwegs zu einem Gipfeltreffen in Warschau), erscheint unwahrscheinlich – die dortigen MIG-Flieger haben eine zu kurze Reichweite. Da aber auch kein anderer der erreichbaren westlichen Flughäfen eine Flugbewegung in die fragliche Richtung ausweist, müssen fünf der sieben Flugzeuge von Flugzeugträgern aus gestartet sein – was erneut im Gegensatz zur offiziellen Version steht, wonach die US-amerikanischen und französischen Flugzeugträger damals in Neapel oder Toulouse vor Anker lagen und keine Manöver durchführten.
Klarer wird das Szenario auch nach diesen neuen Belegen nicht – wer hier geschossen hat und warum, bleibt offen. Waren es libysche Jäger, die ihren Staatschef Gaddafi schützen wollten – oder waren es US-amerikanische oder französische Jets, die Gaddafi abschießen wollten? Tatsächlich war für diesen Abend ein von westlichen Geheimdiensten eingefädelter Staatsstreich gegen den Libyer geplant. Gesichert ist auch, daß Gaddafis Maschine im zentralen Mittelmeer plötzlich abdrehte und auf der Mittelmeerinsel Malta niederging.
Untersuchungsrichter Rosario Priore hat inzwischen empfohlen, „vorsichtig mit den Ergebnissen des Gutachtens umzugehen“. Mehrere Male schon hatten Experten ihm scheinbar schlüssige Wahrheiten aufgetischt, die sich am Ende dann doch wieder nur als das x-te Vernebelungsmanöver erwiesen. Ganz offenbar hat – ähnlich wie beim soeben durch die Bild-Zeitung mit uralten Erkenntnissen wieder hochgejubelten Fall des Attentats gegen Papst Johannes Paul II. (1980) – unmittelbar nach dem Desaster so ziemlich jeder Nato-Geheimdienst mit gigantischen Vernebelungsmanövern begonnen. Die standen offenbar aber mitunter in blankem Gegensatz zueinander, „und so kommt bis heute immer wieder ein Zipfelchen Wahrheit ans Licht“, sagt ein Mitarbeiter von Untersuchungsrichter Priore, „aber die ganze Wahrheit wird es dann doch wohl nie werden“.
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