Gegipste Erinnerung

■ Künstlerinnen in Berlin (VIII): Susanne Windelen, 38 Jahre, Bildhauerin

„Im Moment arbeite ich mit Wachs und irgendwelchen Fundstücken“, erzählt Susanne Windelen. Sie deutet auf einen dicken Draht, der aus der Wand kommt und sich zu einem losen Knoten schlingt, in dem grünes Seidenpapier hängt und eine spiralenartige Wachsabformung wie eine Raupe entlangkriecht. Das Objekt gehört zu einer Reihe von kleinen Wachsarbeiten, die 1995 anläßlich eines längeren Aufenthaltes in Bologna entstanden sind.

Die großformatigen Arbeiten zeigt die Bildhauerin anhand von Abbildungen. Ausgegossene Paddel- und Ruderboote zum Beispiel, 1994 anläßlich eines Symposiums im Duisburger Hafen abgeformt. Bis heute liegen sie wie zufällig dort – an einem nicht begehbaren Teil des Hafenbeckens, nur von der Rheinbrücke aus sichtbar. Dann die riesigen Gipstrichter, die in einem überdimensionierten, 13 Meter langen Netz an der Wand hängen und die Länge des Raumes nachvollziehen. Die Montage war schwierig: „Zuerst mußte ich die einzelnen Trichter an der Wand befestigen, dann das aus Kunststoff geschnittene Gitternetz darüberspannen, schließlich die Trichter von der Wand lösen und sie vorsichtig in das Netz gleiten lassen.“ Sie habe dabei an Netze gedacht, die etwas an der Wand halten, das auf diese Weise nicht stürzen kann, wie die Netze im Gebirge, die vor Steinschlag schützen. Ende letzten Jahres zeigte sie diese Arbeit, wie auch einen 4,80 Meter hohen halbdurchsichtigen „Lichttrichter“ aus PVC, in der Dahlemer Ruine der Künste.

Das Gespräch findet in der Wohnung der Künstlerin statt. In der ehemaligen Fabrik in Kreuzberg ist auch das Deutsche Architektur Zentrum untergebracht. Ruhig und präzise beantwortet Susanne Windelen zahlreiche Fragen, erklärt ohne Ungeduld, was immer noch nicht verstanden wurde. Eigentlich käme sie von der Malerei. Irgendwann aber fing sie an, Gips in Kartons zu gießen. Dabei hat sie sich immer für Alltagsformen interessiert. „Früher waren diese an Architektur orientiert, heute sind sie mehr mit dem Alltagsmüll verbunden.“ Während in den achtziger Jahren vorwiegend gezackte, spitze, zum Teil komplizierte Formen entstanden, erscheint die Formensprache ihrer Objekte heute ruhig und rund. Häufig verwendet die Bildhauerin nun Glas, aber auch Spülmittelflaschen, von denen sie Teile abschneidet – je nachdem, ob sie den „statischen Charakter der Flasche haben will oder den figürlichen Teil“. Mittlerweile entstehen Güsse aus Gips, Beton und Wachs.

Gips jedoch hat besondere Qualitäten, beginnt man zu verstehen. Er wirkt leicht aufgrund seiner Farbe und folgt exakt der Struktur der Verschalung. Ein Gipsguß in Pappe beispielsweise sieht genau wie Pappe aus. Er wird wellig und faltig, formt Knicke und Dellen nach, zeigt die weich eingeprägten Rasterungen und macht noch mehr. „Gips ist ein Träger der Erinnerung. Er nimmt Stempelspuren und Bleistift auf“, erklärt Susanne Windelen. Das vermag Beton nicht, jedenfalls nicht im gleichen Maß. Dafür ist er härter und widerstandsfähiger. Für Beton entscheidet sich die Künstlerin, wenn sie die zum Teil sehr großen kugeligen Weinbehälter aus Glas ausgießt oder Arbeiten für den Außenraum konzipiert.

„Das Spannende ist: Ich mache eine Form, bei der ich mir vorstellen muß, daß das Innen dieser Form nachher das Außen meiner Skulptur ist. Dieses Spiel von Innen und Außen, dieses Nach-außen-Kehren des Inneren interessiert mich“, konstatiert Susanne Windelen. Danach gefragt, warum sie manchmal für ihre Objekte die museale Präsentation in Vitrinen sucht, bringt sie ihre künstlerische Motivation auf den Punkt: „Ich konserviere die Erinnerung an die Form. Nicht den Gegenstand selbst.“

Susanne Windelen wurde 1959 in Warendorf in Westfalen geboren und studierte von 1979 bis 1987 an der Kunstakademie in Münster. 1990 stellte sie ihre Arbeiten im Museum am Ostwall in Dortmund aus, 1994 erhielt sie eine Gastprofessur für Plastisches Gestalten an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

Zur Zeit richtet sie nach vielen Umzügen ihr derzeitiges Berliner Atelier ein. Der Weg dorthin führt hinunter in einen hellen Souterrainraum. Nur kleinere Objekte sind momentan im Original zu sehen: Ein Wachsohr mit einer Moskitospirale, das an der Wand befestigt ist, beispielsweise und tragbare Gipsskulpturen. Eine zweite Tür öffnet das Atelier zu einem unter Straßenniveau befindlichen Plainair-Außenraum. Flaschen stehen hier. Daneben Abformungen von alten Strohhüten. Erinnerungen an Erinnerungen an Menschen, die sie einst trugen. Cornelia Gerner