Rhabarber on air

■ Lokaler Bürgerfunk auf Probe: Heute startet in Hannover das "Radio Flora"

Draußen an der weiß getünchten ehemaligen Fabrikhalle legte ein Bautrupp gestern letzte Hand an, drinnen im Studio lief noch das Band, mit dem sich „Flora, das Lokalradio zum Mitmachen“ (UKW- Frequenz 106,5) vorstellt. Als „neuer Stern am hannoverschen Medienhimmel“ empfiehlt sich der gemeinnützige und werbefreie Lokalsender, der nun in Hannover denen „eine Stimme geben will, die sonst nicht gehört werden“.

In der Eigenwerbung, die am heutigen Samstag punkt zwölf Uhr endlich dem eigenen Programm Platz machen wird, folgt dem harten, rhythmischen Flora-Jingle Rockmusik, die man nicht aus den Hitparaden kennt. Die soll das nachmittägliche Info- und Unterhaltungsmagazin „Wellenbrecher“ genauso schmackhaft machen wie die regelmäßige Nachrichtensendung oder die einstündigen Themenblöcke, die „Fläx – das Jugendradio“, „Rhabarber – aus Ökologie und Wissenschaft“ oder schlicht „Sozialmagazin“ heißen. Mit Radio Flora startet der fünfte von insgesamt sechs nichtkommerziellen lokalen Rundfunksendern, die die niedersächsische Landesmedienanstalt für eine fünfjährige Versuchsphase lizensiert hat. Dem strikten Prinzip eines Rundfunks „Von uns – Für uns“ fühlt sich von diesen sechs neben Radio Flora allenfalls noch die Braunschweiger „Okerwelle“ verbunden. Zwei der gemeinnützigen Versuchsprojekte sind mit örtlichen Zeitungsverlegern verbunden, wieder andere setzten auf das Konzept eines politisch unabhängigen, aber professionell produzierten Stadtradios.

„Mit unserem fundamentalen Ansatz sind wir eben anders als der Rest“, sagt Flora-Programmkoordinatorin Corinna Hohls: „Wir vertreten konsequent das Konzept eines zugangsoffenen, freien Radios: Wer bei uns mitmacht, darf auch mitbestimmen.“ Für die sieben hauptamtlichen Flora-Mitarbeiter, die sich fünf von der Landesmedienanstalt finanzierte Stellen teilen, bedeutet die Basisdemokratie, daß sie letztlich nur Dienstleister für die Ehrenamtlichen, die eigentlichen Programmacher, sind. Davon arbeiten in den Studios in einem „Ökologischen Gewerbehof“ in Hannover-Linden schon mehr als 150 mit. Zusammengefaßt in Redaktionsgruppen, die eigene regelmäßige Sendeblöcke haben, aber auch den übrigen Programmen zuliefern sollen.

Beinahe die Hälfte dieser Programmacher sind Musikfans aller Richtungen, vom Punk bis zur modernen experimentellen E-Musik. Rund zwei Drittel Musik- und ein Drittel Wortbeiträge will Radio Flora seinen Hörern bieten. Auf die zunächst acht täglichen Sendestunden zwischen 16 Uhr und Mitternacht – am Wochenende kommen noch Sendungen für Migranten dazu – haben sich die Flora-Mitarbeiter mit drei Wochen Trockenradio und auch einem halben Dutzend Probesendungen vorbreitet. Vorher hatten sie in Wochenendseminaren die Grundbegriffe des Radiomachens trainiert. „Natürlich kamen da zunächst auch Leute, die sich nur mal im Radio hören wollen, oder solche, die in erster Linie Papiere ihrer politischen Gruppe verlesen wollten“, erinnert sich Programmkoordinatorin Hohls. Aber diese Anfangsschwierigkeiten seien überwunden.

Ihr Radio, das eine zusätzliche „lokale Öffentlichkeit schaffen und eine Mehrwegmedium sein“ will, sieht Hohls keineswegs als überlebtes Relikt der achtziger Jahre. „Sender wie den unseren gibt es in Skandinavien oder den Niederlanden genauso häufig wie in Spanien, Italien oder Frankreich“, sagt sie. Beim freien lokalen Radio sei speziell der Norden der Bundesrepublik eine völlig unterentwickelte Region. Ob es tatsächlich ein Bedürfnis nach einem lokalen Bürgerfunk gibt, will die niedersächsische Landesmedienanstalt in der Begleitforschung zu den Versuchsprojekten (zu denen auch noch acht offene Funk- und Fernsehkanäle zählen) untersuchen.

Bei Radio Flora ist man sich sicher: „Mehr Hörer als Macher werden wir haben.“ Jürgen Voges