Verdeckte Apartheid

Eine neue Studie schockt Brasilien – Schwarze leben deutlich schlechter als die Weißen  ■ Aus Rio de Janeiro Patricia Sholl

In der Hauptstadt Brasilia plappert alles von Aufschwung und Kaufkraftzuwachs; deutsche Firmen bringen in Brasilien, der neuntgrößten Wirtschaftsnation, bereits 15 Prozent der Industrieproduktion. Doch irgendwie hat die dunkelhäutige Bevölkerungshälfte der 150 Millionen Brasilianer nicht viel davon, wie eine neue Studie zeigt.

Die von Wissenschaftlern des Sozialforschungsinstituts FASE erstellte Untersuchung betont, daß Brasilien gemäß dem UNO-Index über menschliche Entwicklung auf dem 63. Platz rangiert – die über 70 Millionen Dunkelhäutigen befänden sich nach den UNO-Kriterien indessen nur an 120. Stelle, zusammen mit Lesotho und Simbabwe.

Um sich nicht den Vorwurf einzuhandeln, wieder nur Trübe-Pessimistisches verbreiten zu wollen, nutzte FASE durchweg nur offizielle brasilianische Angaben. Danach liegt die Lebenserwartung aller Brasilianer durchschnittlich bei 65 Jahren, die der dunkelhäutigen aber nur bei 59. Von diesen sind außerdem über ein Drittel Analphabeten, was nur auf 15 Prozent der Hellhäutigen zutrifft. In nichtoffiziellen Untersuchungen werden weit krassere Gegensätze benannt.In Brasilien sind derzeit nicht nur die meisten Grundnahrungsmittel teurer als in Deutschland – Schwarze als typische Slumbewohner sind indessen die klassischen Empfänger des Mindestlohns von umgerechnet nur etwa 170 Mark, Supermarkt- Kassiererinnen Rios, die außer sonntags jeweils zwölf Stunden Preise eintippen, kriegen maximal zwei Mindestlöhne und sind fast durchweg dunkelhäutig.

Ein perfides System von Diskriminierungen, die sogenannte verdeckte Apartheid, sorgt dafür, daß nur eine verschwindende Minderheit von Negros oder Mulatos den Aufstieg in die Mittelschicht schafft.

Daher rührt ein tiefsitzender Minderwertigkeitskomplex, der sich selbst im Spielverhalten der Kinder äußert: 1995 wird erstmals eine schwarze Puppe namens Lola auf den Markt gebracht – entgegen den Erwartungen wird sie ein Flop, der Hersteller stoppt die Produktion. Die weiße Version der Puppe verkauft sich dagegen nach wie vor sehr gut. Eine Spielzeugverkäuferin fragte ein weißes Mädchen, warum es die schwarze Lola will, und bekam zur Antwort: „Ich habe schon einen Haufen weißer Puppen, die wird jetzt deren Hausdienerin.“

Das Beispiel ist direkt noch harmlos – andere schmerzen mehr. In Südbrasilien verklagt ein dunkelhäutiges Ehepaar Ärzte, die vor sieben Jahren bei der künstlichen Befruchtung offenbar Samen eines Weißen anstatt wie ausdrücklich erbeten eines Schwarzen verwendet hatten. Wegen der Existenz des inzwischen sechsjährigen, völlig weißen und glatthaarigen Sohnes werden die Eltern in der Öffentlichkeit diskriminiert und verspottet. Beide wechselten deshalb zwölfmal die Wohnung, die Mutter unternahm einen Selbstmordversuch.

Dürfte man in Deutschland problemlos von der Bühne heruntersingen, daß Schwarze stinken? In Brasilien geht das. Sony produzierte 1996 eine sehr erfolgreiche CD des Komponisten und Sängers Tiririca, auf der in einem Lied eine schwarze Frau als häßlich, dreckig und stinkend bezeichnet wird – was auf übelste Weise existierende Vorurteile gegen die Sklavennachfahren verstärkt.

Sony gegen Verbot rassistischer CD

Weiße Kinder ärgerten mit dem Lied schwarze in den Vorschulen, auch dunkelhäutige Frauen wurden damit beleidigt, genervt, bis schließlich eine Richterin ein Verkaufsverbot verhängte, Sony-Manager und Tiririca wegen rassistischer Praktiken anklagte.

Weder Sony noch die Funkmedien hielten sich indessen ans Verbot, die CD wurde nun erst recht massenhaft verkauft. Sony: „Die Ausdrucksfreiheit unserer Künstler ist unantastbar.“ Die auch in Deutschland sehr bekannten Gruppen Olodum und Ilê-Âye sahen das anders, protestierten. Billy Arquimine von Olodum: „Im Ausland sagen sie, daß es in Brasilien keine rassistischen Vorurteile mehr gibt, aber das stimmt nicht. Wir werden das wahre Gesicht Brasiliens zeigen.“ Inzwischen ist die Tiririca-CD vergriffen, Schwarzpressungen kriegt man aber fast noch überall.

Auch der dunkelhäutige Popstar Djavan spielt oft in Deutschland: „Wenn du berühmt wirst, verlierst du sozusagen deine Hautfarbe. Das heißt nicht, daß dich die Leute auf einmal mögen, sie beginnen nur, dich zuzulassen.“ Wer wie Djavan den sozialen Aufstieg schafft, hat dennoch im Alltag Ärger fast ohne Ende: Eine erfolgreiche schwarze Schauspielerin wird in Rio auf der Straße immer wieder von weißen Madames gefragt, ob sie nicht als Hausdienerin anfangen wolle – sie sehe so gut und gesund aus.

Rios schwarzer Sänger Dicaor wurde mehrmals von der Polizei „geschnappt, als ich meinen eigenen Wagen klauen wollte“. Sicherheitsbeamte wollten ihn schon einmal zu seiner eigenen Show nicht auf die Bühne lassen.

Schwarze Fußballstars verdienen auch im Ausland Millionen, fahren natürlich dann dicke Importwagen. Oleudo Ribeiro, ein Pelé-Nachfolger, wird mit Blaulicht in seinem Ford-Jeep gestoppt, den Revolver am Kopf, gründlich durchsucht: „Mein tiefentsetzter Sohn wollte danach wissen, ob diese Männer Banditen waren – schwierig, ihm zu erklären, daß alles nur geschah, weil wir Schwarze sind.“

Der Sohn des dunkelhäutigen Ökonomen Euvaldo Ferreira hat einen General-Motors-Vectra, wird deshalb immer wieder von Militärpolizisten gestoppt. Ein Polizist sagt: „Der Crioulo, der einen Vectra fährt, muß immer anhalten.“

Crioulo heißt in Brasilien ungefähr soviel wie Nigger.