Nur an der Basis bewegt sich was

Gesichter der Großstadt: Thomas Kreutzer ist Sprecher der BI Nordostraum. Der ehemalige Vorstandssprecher bemängelt bei den Grünen „Verlust an Basisnähe“  ■ Von Kathi Seefeld

Das alternative Frühlingsfest wurde eine Flop. Das Wirtschaftsamt Pankow genehmigte der Bürgerinitiative Nordostraum lediglich „1 Stand Kaffeeausschank, Kuchen, Schmalzstullen“. Das Umweltamt ließ das Konzert der „4 Pistoleros“ vorsorglich gegen 22 Uhr abbrechen. Dem einzigen Lokal im Künstlerhof Buch war just am Vorabend des Festes die Gewerbegenehmigung entzogen worden. Die neue Erlaubnis steckte erst am Montag in der Post, als die Bürgerparty vorbei war. Thomas Kreutzer wäre vor Wut „denen am liebsten auf den Tisch gesprungen“. Statt dessen setzte er sein Faxgerät in Bewegung.

„Willkür der Ämter“, zürnte der Sprecher der Bürgerinitiative. Die Pankower Wirtschaftsverwalter, die die Gaststätte geschlossen hatten, seien Tage vorher noch genüßlich speisend in der „Kunstpause“ gesichtet worden. Vom Ärger, den er höchstpersönlich kriegen soll, weil ein aufgestellter Cola-Automat keinen Hinweis auf Koffein und Farbstoffe enthielt, faxte er nichts. Kreutzer appellierte an die Politiker, Bürgerinteressen ernster zu nehmen.

Thomas Kreutzer, Jahrgang 52, hat mittlerweile Übung in solchen Formulierungen. Seit vier Jahren ist die BI Nordostraum aktiv. Kaum eine zweite im Ostteil der Stadt hat soviel Staub aufgewirbelt. Nicht zuletzt, weil Kreutzer die Öffentlichkeit stets auf dem laufenden hielt. Zum Beispiel als Entscheidungen zum Bau der Nordtangente ins Haus standen. An jeder Ecke, durch die die Schnellstraße hätte führen können, wehrte sich eine Initiative gegen die Bedrohung ihres Kiezes. Die BI Nordostraum ist eine der wenigen, die sich bis heute für die Nullvariante ausgesprochen hat.

„Wir gucken über unsern Tellerrand“, betont Kreutzer gerne. Das war ein Lernprozeß, auch in der Müllpolitik. Erst hatte es geheißen: „Uns setzt hier keiner einen Verbrennungsofen vor die Nase.“ Mittlerweile sind die etwa 20 Frauen und Männer der BI Nordostraum auch bei „Mi(e)f“, dem stadtweiten Zusammenschluß gegen Müllverbrennung, eine Größe. Als der Senat eine Studie vorlegte, die der Müllverbrennung Tür und Tor öffnete, hielt das Bündnis dagegen, ließ eine Schwachstellenanalyse durch ein unabhängiges Tübinger Umweltinstitut erstellen und lieferte damit nicht zuletzt gute Argumente zum Überdenken der bisherigen Abfallwirtschaftspolitik.

Kreutzer weiß, daß sich solche Ergebnisse nicht über Nacht einstellen. Kreutzer hat das ORB- Fernsehen auf die Wiese geschickt, wo eine Bauschuttrecyclinganlage entstehen sollte. Bei Radio „Fritz“ hat er im Bollmann-Team dafür geworben, daß Bürger sich einmischen. Er hat damit leben gelernt, daß der Pankower Bürgermeister der BI Panikmache vorwirft. „Das gehört zur Demokratie, auch wenn man nicht immer glaubt, daß es sie wirklich gibt“, sagt er.

Thomas Kreutzer fühlt sich wohl an der Basis. Nur dort passiert etwas im Interesse von Bürgern, sagt er. Kreutzer weiß, wovon er spricht. Sein Ausflug in die Politik begann im Oktober 89. Da war er Mitbegründer des Neuen Forums in Pankow, wenig später dessen Sprecher. Im Mai 1990 hatte er ein Mandat von Bündnis 90 für die Pankower BVV in der Tasche. Kurze Zeit später gab er es zurück, weil ihm die „Koalition“ von Bündnis, SPD und CDU, die Absprachen zum Nachteil der PDS, gegen den Strich ging.

1991 war er Mitbegründer des Berliner Landesverbands von Bündnis 90, als Mitglied des Landesvorstandes saß er 1992 bei den Verhandlungen zum Zusammenschluß von Bündnis und AL am Tisch. Kreutzer geriet unter Beschuß, weil er im Zusammenhang mit dem Anti-Olympia-Video Position gegen Judith Demba bezogen hatte. 1995 verließ er seine Bezirksgruppe in Pankow, weil diese eine „Offene Liste“ bei den Wahlen zum Bezirksparlament ablehnte.

Der „Verlust an Basisnähe“ wurde für ihn zum entscheidenden Defizit seiner Partei. „Am Tag nach der Wahl gehe ich“, verkündet Kreutzer im Oktober 1995. „Wenn der kritische Blick auf diesen Staat und dieses System verlorengeht und einstige ALer heute mit Figuren der ehemaligen Westberliner Baumafia smalltalken, dann weiß ich einfach nicht mehr, was ich bei den Bündnisgrünen noch soll.“

Nicht wenige warfen ihm vor, „permanent die Tür zuschlagend davonzulaufen“. Thomas Kreutzer steht bis heute zu seiner Entscheidung. „In der BI weiß ich, woran ich bin.“ In ein paar Tagen wird man in seinem Garten zusammensitzen, grillen und Pläne schmieden für die nächsten Aktionen. Im Mediationsverfahren um die zukünftige Müllpolitik sitzen neben Senat, Entsorgungsunternehmen und Umweltverbänden auch BI-Aktivisten am Tisch. Und falls sich etwas Wichtiges ereignet, kommt garantiert am nächsten Morgen ein Fax.