Gewalt gegen "Schwäche"

■ Diskussion auf dem Schwul-lesbischen Fest: Immer häufiger werden Schwule von ausländischen Jugendlichen überfallen. Mehr Perspektiven für Kids gefordert

„Sechzig Prozent der gegen Schwule verübten Straftaten werden von ausländischen Jugendlichen verübt. Unter diesen sind überwiegend türkische Jugendliche.“ So faßte der Psychologiestudent Stefan Ide die Ergebnisse seiner Diplomarbeit zusammen. Ide sprach am Samstag auf einer Podiumsdiskussion auf dem Schwul- lesbischen Straßenfest in Schöneberg. Thema der Veranstaltung: „Das Ende von Multikulti?“ Das drängende Problem: Schwule sind immer häufiger Gewaltopfer von ausländischen Jugendlichen.

Für seine Arbeit hatte Ide in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Überfalltelefon und dem Institut für Forensische Psychologie an der FU die Statistik der antischwulen Gewalt ausgewertet. Seine Bilanz: Seit 1990 hat das Schwule Überfalltelefon 1.400 Fälle von Angriffen auf Schwule registriert – das sind weit mehr als 2.000 Opfer. Neben den Überfällen auf der Straße habe vor allem die Gewalt in Wohnungen zugenommen, meinte Thomas Schaaf vom Überfalltelefon. „Rund vierzig Prozent“ der Angriffe passierten in den Wohnungen der Opfer, wenn sich Jugendliche als angebliche Stricher mitnehmen lassen und dann zuschlagen. Aus Angst vor den Behörden gingen nur zehn Prozent der Opfer zur Polizei, so Schaaf.

Die aggressiven Jugendlichen nähmen oft „Blickkontakte“ zum Vorwand, um dann „gezielt“ gegen Schwule vorzugehen, sagte der türkische Streetworker Mustafa Çacar. „Der Schwule hat mich blöd angeguckt, das hat mich belästigt“ – dieses „Motiv“ sei das am häufigsten vorgebrachte unter gewaltbereiten Kids. Warum aber reagierten gerade türkische Jugendliche so gewalttätig auf die schwule Szene? Schwulsein bedeute für die Jugendlichen eine „Schwäche“, auf die man „draufhauen“ könne, so Çacar. Schwule Männer paßten nicht in das von ihren Eltern und der türkischen Gesellschaft vermittelte Männerbild. Türkische Popstars, deren Homosexualität bekannt sei, würden „nur wegen ihrer wunderschönen Stimme, aber nicht als Personen geachtet“. Außerdem, erinnerte der Streetworker, seien ausländische Jugendliche selbst „Sündenböcke“ in der deutschen Gesellschaft und würden sich wegen fehlender Freizeitangebote ihrerseits „Sündenböcke suchen“.

Um antischwuler Gewalt vorzubeugen, bedürfe es einer „besseren gesellschaftlichen Integration“ von ausländischen Jugendlichen, forderte Bodo Mende vom Schwulenverband. Es müsse für mehr „Pluralität und Offenheit“ in der Gesellschaft gesorgt werden. Karen König

Der Erlös des Straßenfestes (siehe auch Seite 4) soll Aids-Hilfe- Projekten zugute kommen.