Sauteure Luft tut gut

Der Sieg beim Europacup überzeugt Hammerwerfer Weis von der Qualität seines neuen Arbeitsumfeldes  ■ Von Thomas Hahn

München (taz) – Und wenn einer gekommen wäre und hätte ihn geschimpft, er möge sich gefälligst beeilen, Heinz Weis hätte sich vor seinem letzten Versuch trotzdem einen kurzen Augenblick stiller Andacht gegönnt. Hätte trotzdem aufreizend gelassen sein Gerät gemustert. Wäre trotzdem behäbig in den Ring gestapft. In der Ruhe liegt die Kraft. Wenn der Hammerwerfer nicht im Geiste seine Kräfte bündeln kann für den Moment des Abwurfs, wird er nicht weit kommen. Im Hammerwurf-Bewerb des Leichtathletik-Europacups in München konnte Weis das: 79,14 Meter schaffte er im ersten Versuch, 80,10 im zweiten, 80,46 im dritten, ehe er den Hammer so kraftvoll aus dem Wurfkäfig trieb, daß er sich erst bei 81,42 Metern ins emsig gepflegte Gras des Olympiastadions grub. Optimale Punktzahl für den deutschen Verband hieß das im wichtigsten Mannschaftswettbewerb des Leichtathletik- Sommers. Vadim Khersontsev (Rußland), Zweiter mit 78,48 Metern, konnte da nur staunen.

Der Auftritt bewies, daß Weis (33) im Gegensatz zu einigen DLV-Teamkollegen im Plan ist bei seinen Vorbereitungen auf die WM in Athen (1. bis 10. August). Zumal er wohl noch ein paar Zentimeter draufgepackt hätte auf seine Siegesweite, hätten ihm wie üblich sechs Versuche zugestanden und nicht nur vier; Europas Leichtathletik-Funktionäre wollen die Wurf- und Weitsprung-Disziplinen kurzweiliger gestalten für das Publikum und erprobten deshalb, die Wettkämpfe auf vier Versuche pro Starter einzuschmelzen. Weis gefiel das überhaupt nicht: Zu höchster Klasse reife ein Hammerwurf-Bewerb erst, „wenn wir zur vollen Entfaltung kommen“.

Weis will zeigen dürfen, was er kann. Prächtig ist er in diese WM- Saison gestartet, mit gleichmäßig guten Würfen, die meist jenseits der 80-m-Marke einschlugen. Und einmal bei 81,46 Metern, seiner Bestweite 1997. In Cottbus war das vor zwei Wochen. Am Samstag nun mäkelte er zwar, sein weitester Wurf sei ihm technisch nur „fast perfekt gelungen, nicht so wie es hätte sein können“, aber eigentlich ist er zufrieden mit sich. Im vergangenen Jahr bei Olympia in Atlanta, kam er, zuvor im Trainingsrhythmus durch eine Verletzung gestört, über Platz fünf nicht hinaus – seinen besten Wurf versenkte er damals außerhalb des Sektors. Jetzt ist er auf bestem Wege, dieses Mißgeschick bei der WM gutzumachen. Weis weiß auch den Grund für seine derzeitige Stärke: sein neues Trainungsumfeld. Zwar startet er weiterhin für Bayer Leverkusen, aber er weilt kaum mehr im Rheinischen. Weis hat sich in die Schweiz abgesetzt zu seinem Trainer Bernhard Riedel, der beim LC Zürich angestellt ist und den er bei einem Sportfest kennenlernte. „Es war die richtige Entscheidung“, sagt Weis.

Mit Riedel hat er seinen Trainingsbetrieb wieder in den Griff bekommen, der nach dem Selbstmord seines vormaligen Trainers Rudi Hars im Frühjahr des vergangenen Jahres in Unordnung geraten war. In Zürich hat er die Ruhe und Geborgenheit gefunden, aus der er seine Kraft schöpft. „Dort habe ich die Luft zum Atmen“, sagt Weis.

Ruhe und Geborgenheit, danach sehnt sich auch Grit Breuer (25), die im vergangenen Jahr nach langer Sperre wegen Medikamentenmißbrauchs die Rückkehr in den Leistungssport wagte. Bei ihr ist weiterhin wenig geregelt, nachdem ihr Verein LT 85 Hannover sich im Winter wegen Geldnot auflöste und weder Verband noch neuer Klub ihren Trainer und Freund, Thomas Springstein, in Sold nehmen wollen. Über die 400 Meter stürmte sie in München in Abwesenheit von Olympiasiegerin Marie-Jose Perec (Frankreich) zu einem sicheren Sieg in deutscher Jahresbestzeit von 50,38 Sekunden und freute sich herzlich. Hinterher wurde sie ernst: „Ich habe ein bißchen Zukunftsangst. Ich laufe sehr gut, aber alles andere ist noch nicht so, wie ich es mir vorstelle.“ Für den OSC Berlin startet sie derzeit, Verhandlungen über die Zukunft laufen. Doch vor allem für den schlecht beleumundeten Trainer ist nichts fix zu machen; das zehrt an Kraft und Nerven. „Jetzt ist es so, daß ich mich ständig fragen muß: Was wird morgen sein? sagt Breuer, „das ist nicht gut.“

Vielleicht fände sie wie Weis in der Schweiz ihr Seelenheil. Allerdings hat der Hammerwerfer auch in Zürich schon beträchtliche Nachteile ausgemacht: „Dort ist es sauteuer.“