Schweden verbannt schädliche Chemikalien

■ PVC soll in zehn Jahren ersetzt sein. Bis zum Jahr 2012 könnten alle Waren frei von umweltgefährdenden Chemikalien sein – wenn die Industrie mitspielt

Stockholm (taz) – Produkte, die die umweltschädliche Substanz PVC (Polyvinylchlorid) enthalten, sollen bis zum Jahr 2007 vom schwedischen Markt verschwunden und durch andere, weniger umweltgefährdende Kunststoffe ersetzt sein. Dieses Ziel hat jetzt die staatliche Chemiekommission aufgestellt, zusammen mit einem anderen mutigen Grundsatzziel: Im Jahr 2012 sollen alle in Schweden gehandelten Waren frei von umwelt- und gesundheitsgefährdenden Chemikalien sein. Erreichen will man diese Ziele nicht durch eine verschärfte Gesetzgebung, sondern über den Markt.

„Wir glauben an Zusammenarbeit“, gab Kerstin Svenson, die Kommissionsvorsitzende, bei der Vorstellung des Berichts in dieser Woche die Richtung an. Die Kommission hofft auf Effekte bei den VerbraucherInnen, indem man eindringlicher als bisher über die Risiken aufklärt, die mit bestimmten Chemikalien verbunden sind. Über die VerbraucherInnen will man wiederum an die Produzenten heran. Für sie sollen Umweltargumente wichtiger und profitabler werden als das Festhalten an umweltgefährdenden Produktbestandteilen. Vorbild: die Papierindustrie, die sich aufgrund der veränderten Konsumentennachfrage in Rekordzeit auf vorher als „unmöglich“ abgetane umweltfreundlichere Produktionsprozesse umstellen mußte – und konnte.

Bis zum Jahr 2000 soll die Industrie in Zusammenarbeit mit der Chemiekommission und Verbraucher- und Umweltverbänden detaillierte Zeitpläne für die Umstellung der Produktion beziehungsweise den Austausch von Chemikalien aufgestellt haben. Ab 2007 sollen keine Produkte mehr auf den Markt kommen, die lange Zeit nach ihrem Verbrauch noch die Umwelt belasten oder bei denen der Verdacht der Umweltgefährdung besteht. Das gilt für metallisches Quecksilber, Cadmium, Blei und PVC. Im Jahr 2012 will man schließlich das Ziel einer Produktion erreicht haben, die beim Produktionsprozeß keine umweltgefährdenden Chemikalien mehr an die Umwelt entläßt und deren Produkte frei von diesen sind.

Sollte sich die „freiwillige Linie“ nicht halten lassen, will die Regierung zur Not auch mit Gesetzen nachhelfen, kündigte Umweltministerin Anna Lindh an. Man werde gleichzeitig innerhalb der EU für diese „schwedische Linie“ arbeiten. Dies vor allem bei der weiterhin umstrittenen PVC- Frage. Zwar sei nach wie vor unklar, welche Bestandteile sich beim Verrottungsprozeß auf den Müllhalden genau bildeten. Doch reiche der hohe Chlorgehalt des PVC, den Kunststoff aus Gründen der Vorsicht vom Markt zu nehmen.

Bereits in fünf Jahren sollen die Unternehmen ihre Produkte mit exakten Inhaltsdeklarationen ausgestattet haben, damit alle KonsumentInnen die Möglichkeit gezielter Auswahl haben. Sollen solche Inhaltsdeklarationen nicht nur für Profis, sondern auch DurchschnittsverbraucherInnen wertvoll sein, bedarf es aber noch umfassender Aufklärungsarbeit. Beispiel: die Broschüre, in der die Chemikalienkommission ihren Bericht veröffentlicht hat. Deren Papier enthält laut Deklaration chlordioxidgebleichte chemische Langfibern, in der Verleimung gibt es Paraffinwachse und Ethen-Vinylacetat-Sampolymere. Nach der Lektüre stellt sich die Frage, ob das Heftchen ins Bücherregal oder doch eher in den Sondermüll gehört. Reinhard Wolff