Das Kulturbüro tagt

■ Während das deutsche Feuilleton den Fall "Badische Zeitung" diskutiert, kündigt der Verleger eine Entscheidung an: Stürzt nun Chefredakteur Peter Christ?

Der Platz neben den hochmögenden Kulturgeistern der Republik blieb leer. Peter Christ, Chefredakteur der Badischen Zeitung, sollte dort sitzen und Auskunft geben darüber, was man in Freiburg kurz die „BZ-Krise“ nennt. Aber der 49jährige mochte nicht in den Paulussaal kommen, weil ihm ein „Schlachtfest“ schwante, und warum, so fragte er sich, solle er auch noch Propaganda machen für ein Publikum, das seinem Blatt „nur schaden“ wolle.

Ein Publikum, daß sich auch an den Worten der Großkopferten des deutschen Feuilletons delektieren wollte: Sigrid Löffler von der Zeit, Wolfgang Höbel vom Spiegel oder auch Jens Jessen, vormals FAZ, nun Kulturchef der Berliner Zeitung, waren angereist, um dem geschaßten Gerhard Jörder kollegial beizustehen. Konsequenterweise verfügte Chefredakteur Christ, daß die derart prominent besetzte Tagung des Kulturbüros weder angekündigt noch Gegenstand der Berichterstattung wurde.

In Hamburg gehört das Fallbeil zum Alltag

Dabei waren die 1.200 Menschen im überfüllten Saal gar nicht richtig böse, sondern wollten nur wissen, warum sich Christ partout seines Kulturchefs entledigen will und was es denn auf sich hat mit den weiteren Kündigungen und dem Verdacht, daß aus der BZ ein seichtes Regionalblatt werde. Außerdem sei es doch ein „Riesenkompliment“, so Sigrid Löffler, wenn dermaßen viele Leser über das Schicksal „ihrer“ Zeitung debattieren wollten. Das würde ihr in Hamburg, sollte ihr Kopf je rollen, gewiß nicht passieren. Denn dort, so wußte Wolfgang Höbel zu berichten, gehöre das Fallbeil zum Alltag. Nicht in Freiburg, wo selbst die Fußballer anders sein sollen. Da stehen plötzlich 462 Kulturgruppen auf der Matte, als seien es lauter enttäuschte Liebhaber. Da fordert der Germanist Uwe Pörksen unter donnerndem Applaus die Verlegerfamilie Hodeige auf, das „Ansehen ihres Hauses nicht zu verspielen“ und auf den richtigen, linksliberalen Weg zurückzukehren. Da geißelt der Tübinger Verleger Christoph Müller (der seine Redakteure gerne mit dem Spruch begrüßt: „Ihr g'höret alle mir“) den „Steinzeitkapitalismus“ des badischen Verlags, und alle sind eine große Familie. Nur einer versteht das nicht: Peter Christ. Einsam sitzt der 49jährige in der Basler Landstraße und erläutert zum x-ten Male, daß sich die Zahl der Protestanten „im Promillebereich“ bewege und daß ihn deren Aufstand „wenig kratzt“. Er wiederholt, daß er sein Monopolblatt weder boulevardisieren noch trivialisieren („völliger Quatsch“) wolle, sonst hätte er ja gleich zum Schwarzwäler Boten gehen können. Doch er merkt nicht, daß seine Distanz zum Publikum die Sprachlosigkeit zwischen Blatt und Leser noch vergrößert.

„Keiner versteht mehr, was in diesem Hause geschieht“, sagt Ansgar Fürst, der frühere Chefredakteur, der 25 Jahre in diesem Amt war. Natürlich weiß er um das ständige Drängen der Verleger, mehr Profite zu erwirtschaften. Aber auch ihn überrascht, mit welcher Kälte und Arroganz dieses Sparprogramm plötzlich exekutiert werden soll.

Es ist ja keineswegs so, daß hier ein Verlag vor dem Konkurs stehen würde. Wie drückt es Geschäftsführer Christian Nienhaus aus? „Wir sind ein vermögendes Unternehmen. Wir haben riesige Reserven im Immobilienbereich.“ Und was berichtet Verleger Christian Hodeige? „Wir sind ein gesundes Unternehmen.“ Gespart wird eben, weil das operative Geschäft, insbesondere wegen der eingebrochenen Anzeigen, gestärkt werden müsse.

Stecken hinter dem Rotstift also doch andere Absichten, sprich: der Versuch, über diesen Hebel unbequeme Journalisten loszuwerden? Selbstverständlich weist Hodeige solche Motive weit von sich. Er wolle keine andere Zeitung, versichert er, das mit dem Boulevard sei „alles Unfug“. Das sagt auch Christ, aber im Gegensatz zu seinem Chefredakteur zeigt Hodeige Einsicht. Der Protest der Leser treffe ihn „persönlich hart“, der Appell im Paulussaal an seine Political Correctness bewege ihn sehr.

Angst vor Tomaten auf schwarzem Autolack

Hodeige ist nicht nur die wichtigste Figur in diesem Verwirrspiel, sondern auch ein Teil eben jener Kulturszene in Freiburg, die ihn und seine Firma bundesweit an den Pranger stellt. Ihm gehören nicht nur die BZ, sondern auch Buch- und Musikläden, die diese Klientel brauchen. Aber er braucht die Sympathie auch für sein Ego, das davon lebt, daß er im Vorstand des Jazzhauses gestreichelt wird; und wenn er in seinem Londoner Taxi durch die Stadt fährt, wäre es ihm ganz arg, flögen plötzlich Eier und Tomaten auf den schwarzen Lack.

Und so einer soll eine andere Zeitung wollen? „Nie und nimmer“, betont der promovierte Volkswirt, „an der grundsätzlichen Ausrichtung ändert sich nichts“. Sie werde weiterhin linksliberal sein, schließlich habe er einst bei Ralf Dahrendorf in London studiert, dem gelehrten Lord, den er auch heute noch bewundere.

Und was folgt daraus? Eine Entscheidung, die „sehr bald“ fallen werde, sagt Christian Hodeige. Ob die seinen Chefredakteur betreffe? „Kein Kommentar“, antwortet der in hohem Maß verunsicherte Verleger. „Mein Vertrag läuft noch sehr lange“, hält Christ entgegen, und er habe vor, ihn zu erfüllen. Josef-Otto Freudenreich