„Pauschal 3.000 Tiere umzulegen ist Schwachsinn!“

■ Der Schweizer Experte Professor Marc Vandevelde zur deutschen BSE-Politik. In Deutschland seien in den vergangenen Jahren zu wenige Tiere auf BSE untersucht worden. Außerdem müsse die Produktion von Tiermehl in Deutschland besser kontrolliert werden

taz: Sie gelten als einer der Schweizer BSE-Päpste und als Kenner der BSE-Politik der europäischen Länder. Die Schweiz hat immer wieder betont, sie würde zu Unrecht an den Pranger gestellt. Man habe nur deshalb mehr BSE- Fälle zu verzeichnen, weil hier die Diagnostik um ein vielfaches besser sei als in anderen Ländern, beispielsweise in Deutschland.

Marc Vandevelde: Man muß tatsächlich sagen, daß in Deutschland viel zu wenige Verdachtsfälle untersucht wurden. Laut OIE (Oberstes Internationales Tierseuchenamt) müßte es pro eine Million Rinder 100 neurologisch erkrankte Tiere geben. Das heißt, man müßte, um korrekt zu diagnostizieren, bei sieben Millionen Milchkühen in der BRD und insgesamt etwa fünfzehn Millionen Rindern zwischen 700 und 1.500 Tiere mit neurologischen Symptomen jährlich untersuchen, und zwar unabhängig davon, ob es BSE gibt oder nicht. Tatsächlich sind in Deutschland aber nur 100 Tiere jährlich untersucht worden. Da kann man dann leicht sagen, wir haben kein BSE.

Wie viele Tiere hat denn die Schweiz dazu im Vergleich untersuchen lassen?

Rund fünfzehnmal so viele. Wir haben etwa 770.000 Milchkühe und davon jährlich knapp 150 Tiere mit neurologischen Symptomen getestet und zwar Tiere aus genau dem kritischen Altersspektrum. Da ist es natürlich klar, wenn man zehnmal so viele Tiere untersucht wie ein anderes Land, findet man auch mehr. Aber das ist es doch, was dem Verbraucher wirklich nutzt, kein bloßes Schönfärben.

Das trifft aber nicht Deutschland allein?

Keineswegs. Es gibt nur sehr wenige Länder, die die Überwachung wirklich ernst genommen haben. Deutschland gehört nicht dazu. Aber auch andernorts gibt es viel zu bemängeln. Sehen Sie, wir haben in der Schweiz sofort nach der ersten Diagnose eines BSE- Falles, das war 1990, einen SBO- Bann verhängt. Das heißt, bei uns dürfen die SBOs, die kritischen Organe wie Gehirn, Augen, Rückenmark etc. nicht mehr in Verkehr gebracht werden, weil sie am ehesten BSE übertragen können. In Frankreich wurde das Verbot erst vor zwei Jahren ausgesprochen, und in Deutschland gibt es noch gar keinen SBO-Bann, was für mich unverständlich ist.

Gibt's noch weitere Vorsichtsmaßnahmen?

Außerdem müßten bei Ihnen und auch anderswo dringend die Produktionsmethoden von Tiermehl viel besser überprüft und überwacht werden.

In Bayern wurden bislang über 3.000 Rinder aus der Schweiz und Großbritannien im Zuge der BSE- Schlachtverordnung getötet. Doch eine ganze Reihe von Bauern haben Widerspruch eingelegt. Jetzt hat das Bayerische Sozialministerium die Bezirksregierungen angewiesen, die Tötungsanordnungen bis zu einer höchstrichterlichen Klärung nicht zu vollziehen. Das heißt, bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts können Jahre vergehen.

Da sieht man doch, daß solche Aktionen schlichtweg Hysterie waren und sind. Wenn man schon solche Tötungsaktionen macht, müßte man nur solche Tiere herausnehmen, die vor diesem Tiermehlfütterungsverbot geboren wurden. Und man müßte dann auch konsequent schlachten. Wenn dann aber einige Tiere aus technisch-rechtlichen Gründen nicht geschlachtet werden, dann macht es das Ganze doch noch lächerlicher. Wie gesagt, hätte man die Tiere herausgenommen, die vor dem Fütterungsverbot geboren wurden, dann hätte ich diese Aktion sogar mitgetragen, aber 3.000 Tiere aufgrund ihrer Nationalität einfach umzulegen, das ist ein absoluter Schwachsinn. Interview: Klaus Wittmann