„Ich glaube an die Tradition dieser Musik“

■ Zülfü Livaneli über Alevismus, Politik und demokratische Werte

taz: Welche Rolle spielen europäische Aleviten für die türkische Innenpolitik?

Zülfü Livaneli: Etwa zwanzig Millionen Aleviten leben in der Türkei, fast ein Drittel der Bevölkerung. Historisch stehen sie humanitären und demokratischen Werten nahe und vor allem linken Bewegungen. Daher bilden die Aleviten eine stabile Opposition zu Fundamentalisten und extremen Nationalisten und unterstützen sozialdemokratische Parteien.

Ich habe schon auf meinen ersten Platten alevitische Lieder gesungen. Ich glaube an diese Musik, weil sie eine sehr lange Tradition hat. Außerdem liebe ich diese Stücke auch als ästhetische Form.

Sie waren vor vier Jahren Kandidat für die Sozialdemokraten bei den Kommunalwahlen um das Amt des Bürgermeisters in Istanbul, sind aber knapp gescheitert. Sind Sie noch aktiv als Politiker?

Ich bin noch Mitglied der sozialdemokratischen Partei, aber nicht aktiv in der Tagespolitik. Als Person übe ich natürlich innerhalb der Partei noch Einfluß aus.

Wie sehen Sie die Möglichkeiten Ihrer Partei, zur Demokratisierung in der Türkei beizutragen?

Ich bin nicht glücklich mit der Politik meiner Partei. Meiner Meinung nach gäbe es gute Aussichten für eine sozialdemokratische Partei, an die Macht zu kommen. Es gibt Millionen von Menschen, die unzufrieden sind mit dem Regime. Aber die beiden sozialdemokratischen Parteien sind nicht mit ihnen. Sie versuchen, die kemalistischen Grundpfeiler des säkularen Regimes aufrechtzuhalten, aber das ist nicht genug in der Türkei.

Es gibt politische Ungerechtigkeit, und es gibt ökonomische Ungerechtigkeit, es gibt zwanzig Millionen Aleviten und fünfundzwanzig Millionen Kurden. Ich versuche, die Partei dazu zu bewegen, ein wirkliches Projekt für die Zukunft der Türkei zu starten.

Wie beurteilen Sie den Aufstieg der fundamentalistischen Refah-Partei?

Refah ist ein interessanter Fall. Sie haben einundzwanzig Prozent bei den Wahlen erzielt, und höchstens zehn Prozent der Wähler sind wirklich Fundamentalisten, der Rest sind Protestwähler. Das sind die ehemaligen Wähler der Sozialdemokraten, die jetzt Refah wählen, weil Refah die einzige Alternative zum herrschenden Regime darstellt.

Ich denke aber, es gibt einen einfachen Weg, Refah aufzuhalten, mit einer gut organisierten vereinigten Linken, so wie es die Italiener mit Prodi vorgemacht haben.

Interview: Daniel Bax