■ Querspalte: Nehmt Abschied Brüder!
Blutrot verglüht die Sonne am Horizont. Ein Geier plustert sich auf kahlem Geäst. Irgendwo heult ein Coyote in die verbuschte texanische Halbwüste. Dann kommt er: eckiger Schädel, breite Schultern, harte Wangenknochen. Seine stahlblauen Augen wissen, was sie wollen. Seine Kinnpartie ist zu allem entschlossen. Er ist groß, er ist stark, und er ist schön. Lässig dreht er sich in seinem Sattel. Hält die Zügel mit der einen Hand und schiebt mit der anderen den verstaubten Stetson eine Spur weiter nach hinten. Die Augen wandern durch die Prärie, saugen die unberührte Wildnis gierig ein. Dann tut er es: Er zündet sie an, zieht seine Lungenspitzen voll feinsten Virginia, blickt befriedigt zum brennenden Abendhimmel und gibt dem Braunen die Sporen.
So war es. Und so wird es nie wieder sein. Freunde, zückt die Taschentücher, schneuzt euch in den Zellstoff, weint in die Kissen. Es gilt Abschied zu nehmen. Viele Jahre hat er uns begleitet, jetzt muß er sterben. Der Marlboro-Mann. Wie viele Kälber hat sein Lasso schon gefangen? Wie viele Lagerfeuer sein Stiefel ausgetreten? Er gehörte zum Kinoabend wie der Zopf zu Karl Lagerfeld. Aus, vorbei, für immer verloren. Bye, bye, Marlboro-Mann.
Die „Healthisten“, jene amerikanischen Gesundheitsapostel, die jetzt die wehrlose Zigarettenindustrie in die Knie zwingen, sie haben ihn uns weggenommen. Die Konzerne sollen nicht nur 368,5 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen. Sie dürfen auch nicht mehr anständig werben. „Tabakwerbung mit Personen, menschlichen Bildern oder Cartoon-Figuren sind nicht mehr zulässig.“ Unser Marlboro-Mann ein „menschliches Bild“? Nicht einmal auf der Plakatwand soll uns die Prise von Freiheit und Abenteuer erhalten bleiben. Verboten!
Was können wir tun? Rauchen, weinen, Trauerarbeit leisten. Noch hat das Verbot keine Rechtskraft. Der amerikanische Kongreß muß erst noch zustimmen. Wir dürfen noch hoffen. Mach's noch einmal, Marlboro-Mann. Manfred Kriener
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