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„Ich lass' mich nicht vom Kardinal vertreiben“

■ Andreas Freudemann, Nürnberger Abtreibungsarzt und Kläger in Karlsruhe, kann nach der Verfügung aus Karlsruhe zumindest vorerst in seiner Spezialklinik weiterarbeiten

Nürnberg (taz) – Als er im Februar 1994 die Leitung des Pro-Familia-Beratungszentrums in Bremen aufgab, um fortan in Bayern als Spezialarzt für Abtreibungen zu wirken, wußte Andreas Freudemann genau, worauf er sich einläßt. Schon den Grundsatzbeschluß der damaligen rot-grünen Stadtratsmehrheit, im Nürnberger Klinikum eine Praxis für ambulante Abbrüche einzurichten, wollte die Staatsregierung kippen. Dann versuchte die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, dem Mediziner einen Vertrag über die Vergütung von ambulanten Abbrüchen zu verweigern. Erst als er die Zulassung als niedergelassener Gynäkologe beantragt und erhalten hatte und Nürnbergs Stadtrat an der getroffenen Entscheidung festhielt, konnte Freudemann das aufbauen, was er sich vorgenommen hatte: eine „humane Hilfe für Frauen, die sich in einer besonderen Notlage befinden“. „Human“ ist der zentrale Begriff für den hageren 41jährigen. Allein eine Million Mark investierte er in die alten Gemäuer, um eine „angenehme und angstfreie Atmosphäre“ zu schaffen. Die hellen Räume in freundlichen Farben gehören zu seinem Konzept.

Dankschreiben von Frauen, Babyfotos inclusive

Er will den Frauen die Angst nehmen, die sie vor dieser ihr Leben prägenden Entscheidung haben. Die Angst vor dem Eingriff selbst, vor der Entscheidung und ihren Folgen. „Keine Frau geht leichtfertig mit dieser Frage um“, betont Freudemann, und nur, wer keine Angst habe, könne auch „wirklich in sich hineinhören“. Für ihn ist es wichtig, daß die betroffenen Frauen in Ruhe und ohne Druck noch einmal ihre Entscheidung überdenken können. Sie alle haben zwar ihren Beratungsschein schon in der Tasche, doch Freudemann nimmt sich trotz der zehn bis zwanzig Abbrüche, die er täglich vornimmt, Zeit für das Gespräch. 15 Minuten dauert ein Abbruch durchschnittlich, das Gespräch vorher auch schon mal eine Stunde. Zeit, die ihm niemand vergütet. Deswegen treffen ihn Vorwürfe von christlich-sozialen Politikern so hart, die ihm „Massentötung ungeborenen Lebens aus Geldgier“ unterstellen.

In der in Bayern emotionalisierten und polarisierten Diskussion nimmt kaum jemand zur Kenntnis, wieviel Dankesschreiben Freudemann inzwischen von Patientinnen erhalten hat, die sich nach der Beratung in seiner Praxis doch zum Austragen des Kindes entschlossen haben. Viele Fotos von Säuglingen und Kleinkindern sind darunter. Zur Kenntnis genommen wird immer nur, daß Freudemann zusammen mit seinem Münchener Kollegen Friedrich Stapf mehr als die Hälfte der rund 10.000 legalen Schwangerschaftsabbrüche in Bayern vornimmt. Der Rest verteilt sich auf 30 Ärzte im Freistaat. Angekreidet wird ihm auch, daß er über 80 Prozent seiner Einnahmen aus Abbrüchen erzielt. Kein Wunder für einen Spezialarzt.

Als die bayerische Staatsregierung mit ihrem Sonderweg die Schließung der Abtreibungspraxen in Nürnberg und München erzwingen wollte, war für Freudemann klar, daß er nicht kampflos das Feld räumt. „In diesen Räumen steckt mein Herzblut, ich lass' mich nicht von irgendeinem Kardinal vertreiben“, kündigte er eine Klage gegen das bayerische Schwangerenkonflikt- und Hilfegesetz beim Bundesverfassungsgericht an. Freudemann ist sich ganz sicher, daß hinter dem Alleingang des Freistaats der Einfluß der katholischen Kirche auf die Politik steht.

Erleichterung war gestern in der Praxis mit ihren zwölf Angestellten zu spüren. Nach der Karlsruher Entscheidung können Freudemann und sein Team erst einmal bis zum Hauptsacheverfahren weiterarbeiten. Ob er in dieser Zeit den lang geplanten Ausbau der häßlich Terrasse zu einem Wintergarten als zusätzlichen Ruheraum für seine Patientinnen vornimmt, weiß er jedoch noch nicht. Denn das Hauptsacheverfahren entscheidet über seine Zukunft im Freistaat. Bernd Siegler

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