Bayerischer Sonderweg abgetrieben

■ Das Bundesverfassungsgericht stoppt Bayerns Regelungen zum Paragraphen 218. Auf Abtreibung spezialisierte Ärzte können vorerst weiter praktizieren. Die Karlsruher Entscheidung findet Beifall von CDU bis Bündnisgrünen

Berlin (taz) – Bayerische Frauen müssen ab dem 1. Juli nicht nach Hessen oder Holland zur Abtreibung fahren. Das Bundesverfassungsgericht hat gestern in einer einstweiligen Anordnung das bayerische „Schwangerenhilfe-Ergänzungsgesetz“ vorläufig außer Kraft gesetzt. Es sollte Ärzten verbieten, mehr als 25 Prozent ihrer Einnahmen aus Abtreibungen zu beziehen.

Der Gynäkologe Andreas Freudemann aus Nürnberg hat nun allen Grund zur Freude. Zusammen mit seinem Münchner Kollegen Friedrich Stapf hatte er gegen das bayerische Sondergesetz zur Abtreibung geklagt. Beide Mediziner betreiben die bayernweit einzigen Spezialpraxen für Schwangerschaftsabbrüche, und beide hätten ihre Praxen bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli schließen müssen. In ihren spezialisierten Arztpraxen werden weit mehr als die Hälfte aller Schwangerschaftsabbrüche in Bayern vorgenommen, jährlich rund 6.000 von insgesamt annähernd 10.000. Genau das war auch ausschlaggebend für den Ersten Senat: Ohne die Praxen von Stapf und Freudemann sei das ärztliche Netz nicht mehr dicht genug. Bis zur mündlichen Verhandlung der Klage im Mai hätten sich nur sechs Krankenhäuser und nur 14 Ärzte bereit erklärt, Abtreibungen vorzunehmen. Viele Frauen würden dazu veranlaßt, ihre Schwangerschaft außerhalb des Freistaates abbrechen zu lassen. Der Richterspruch ist allerdings noch nicht endgültig. Die Entscheidung in der Hauptverhandlung wird frühestens im Herbst erwartet.

Politikerinnen verschiedenster Parteien begrüßten den Karlsruher Beschluß. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) freute sich ebenso wie die nordrhein-westfälische Gleichstellungsministerin Ilse Ridder-Melchers (SPD) oder die frauenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Rita Grießhaber.

Die Berliner Frauensenatorin Christine Bergmann (SPD) meinte, dem Abtreibungstourismus sei ein Riegel vorgeschoben worden. Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt sprach von einer „schallenden Ohrfeige“ für die Landesregierung. Die Vorsitzende von Pro Familia, Uta Meier, appellierte an die Landesregierung, das bayerische Schwangerenberatungsgesetz gleich mit zu revidieren. Mit dem Gesetz werden abtreibungswillige Frauen gezwungen, Gründe für ihren Entscheidung anzugeben. Die Münchner Regierung stellt sich aber weiter stur. Sie plane keine Nachbesserung der umstrittenen Sondergesetze, so Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm (CSU). Entgegen der richterlichen Annahme sei ein ausreichend dichtes Netz von abtreibungswilligen Ärzten gesichert. Die Ministerin zauberte eine Umfrage aus der Tasche, wonach 56 niedergelassene Gynäkologen einen Antrag auf Zulassung nach dem neuen Gesetz gestellt hätten oder stellen wollten. Diese Ärzte könnten über 10.000 Abbrüche im Jahr durchführen. Und deswegen, sagte die CSU-Frau weiter, gehe sie davon aus, daß das bayerische Gesetz im Hauptsacheverfahren als verfassungskonform bestätigt wird. usche

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