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■ Filmstarts à la carteBallett mit Charlie

Chaplin oder Keaton? Freunden der Stummfilmkomik gerät der Streit um diese entscheidende Frage leicht zum Glaubenskrieg. Bestände ein Zwang zur Entscheidung, fiele meine Wahl wohl auf Buster Keaton: Seine Filme wirken moderner. Die Gags entstehen aus der Handlung und treiben diese wiederum voran. Chaplins Komödien blieben hingegen mehr den Nummern-Revuen der Music-Hall-Tradition verhaftet.

Zudem hatte Chaplin einen bedauernswerten – wenngleich durch seinen Lebenslauf erklärbaren – Hang zum Predigen humanistischer Binsenwahrheiten und zu Sentimentalitäten, die sich Keaton niemals erlaubte. Doch wie Keaton war auch Chaplin ein ausgesprochenes Bewegungstalent: Glänzte Buster etwa mit seinen artistischen Stunts, vermochte Charlie vor allem mit seiner Musikalität und seinen tänzerischen Fähigkeiten zu begeistern.

So auch in seinem wohl besten Film „Modern Times“. Gleich die erste Sequenz ist ein Meisterwerk der Choreographie: Als Arbeiter am Fließband muß Charlie an den vorbeirauschenden Werkstücken zwei Schrauben festziehen, anschließend hämmert ein Kollegenduo darauf ein. Immer schneller läuft das Fließband, und immer frenetischer wird geschraubt und gehämmert, bis sich der Irrsinn schließlich entlädt: Völlig übergeschnappt und auf der Suche nach irgendwie schraubenähnlichen Gegenständen, die er mit seinem Schraubenschlüssel festdrehen könnte, tänzelt Charlie plötzlich mit unglaublicher Leichtigkeit und Grazie durch die Werkhallen und verbreitet anarchisches Chaos.

Ähnlich genial gestaltet sich eine Szene, in der er als Nachtwächter eines Kaufhauses mit verbundenen Augen eine artistische Rollschuheinlage zum besten gibt, unwissentlich immer haarscharf an einem Abgrund vorbeilaufend. Und mit dem Tanz, den er abschließend als singender Kellner aufs Parkett legt, könnte Charlie glatt Michael Jackson Konkurrenz machen.

26.6., 28.6.–2.7. im Bali

Mit dem Film „Thunder on the Hill“ endet in der kommenden Woche die Douglas Sirk-Retrospektive im Zeughauskino. 1951 entstanden, ist „Thunder on the Hill“ ein Beispiel für Sirks frühe Phase beim Universal-Studio: der Krimi als „women's picture“.

Während eines heftigen Orkans versammeln sich in einem britischen Nonnenkloster die Bewohner einer nahe gelegenen Ortschaft – unter ihnen eine wegen Mordes verurteilte junge Frau sowie praktischerweise alle sonstigen Verdächtigen. Schwester Maria (Claudette Colbert) wird schließlich – mehr durch Überlegung und Willenskraft als durch göttlichen Beistand – den wahren Schuldigen ermitteln. Im Mittelpunkt steht jedoch weniger die Detektion (wenn Robert Douglas zu den Mitwirkenden zählt, ist die Frage nach dem Täter eigentlich überflüssig) als vielmehr Marias Schwierigkeit, sich mit dem Wunsch nach Aufklärung des Verbrechens gegen die von Vorurteilen geprägten Dorfbewohner, die ablehnende Haltung der Mutter Oberin und einen lethargischen Kommissar durchzusetzen.

Im Gegensatz zu Sirks späteren Melodramen, in denen das Unheil meist in leuchtenden Farben daherkommt, erweist sich „Thunder on the Hill“ in seiner formalen Gestaltung als äußerst düster. Nächtliches Gehusche in mittelalterlicher Architektur, Kahnfahrten im Nebel sowie das titelgebende dramatische Gewitter: die Schatten überwiegen.

28.6. im Zeughauskino

Lars Penning

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